Hase und Igel im dunklen Internet

Kriminalität Innenminister Thomas de Maizière schaute sich in der Zentralstelle für Cyberkriminalität (ZIT) Kalaschnikows an

Beunruhigend: Karte mit den Cyberattacken eines Monats Foto: M. Probst/ap

GIEßEN taz | Die Experten des Bundeskriminalamts und der hessischen Zentralstelle für Cyberkriminalität (ZIT) hatten gleich zwei Kisten mit brisantem Material zum Ortstermin mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (beide CDU) mitgebracht: eine Kiste voll mit Waffen – von einem zierlichen Revolver bis zu zwei Maschinengewehren, Typ Kalaschnikow 47. Dazwischen eine verchromte Pumpgun und Pistolen mit Schalldämpfern. Außerdem sorgsam verpackte Drogenpakete.

Diese Schaustücke sind Erträge aus Ermittlungen im Darknet des World Wide Web. Mit zwei Klicks ist dort nahezu alles ebenso frei wie illegal käuflich: Falschgeld, Drogen und vor allem jede Menge gefährliche Waffen lassen sich wie im Warenhaus in den Warenkorb laden. Man kann sogar mit Kreditkarte bezahlen.

Am Rande des Treffens in Gießen zeigte Staatsanwalt Benjamin Krause, ein erfahrener Internetermittler des ZIT, die Homepage eines Marktplatzes: Eine Glock 19 kostet da schlappe 1.359,18 Dollar, ein MG vom Typ Maadi AK 47 4.000 Dollar. Zehn falsche Euro-Fünfziger gibt’s für 110 Dollar, Kokain, Heroin und andere Drogen werden nach Menge berechnet.

Wer klüger ist, bezahlt nicht mit Kreditkarte. Im Darknet werden zahlreiche Server in verschiedenen Ländern hintereiandergeschaltet. Wer dort „bitcoins“, das ist die virtuelle Währung des Internets, erwirbt, kann damit bezahlen, mit Buchstaben- und Nummern-Codes. Der Käufer bleibt anonym.

Seit Jahren schon ermitteln das BKA und zentrale Staatsanwaltschaften in den Bundesländern gegen die rapid wachsende Kriminalität im Internet. Experten aus Rheinland-Pfalz gehen davon aus, dass das Drogengeschäft auf der Ebene der Großdealer inzwischen fast zu 100 Prozent über das Darknet abgewickelt wird. Selbst „Dienstleistungen“ wie ein Auftragsmord werden angeboten. Käuflich sind falsche Identitäten, Pässe und Postfächer, deren Eigentümer fiktive Personen sind. Die gestohlenen Daten von Kreditkarteninhabern werden im Hunderterpack verkauft, ebenso der Zugriff auf gehackte private Computer, mit denen man über unsichtbare Netzwerke Cyberattacken gegen Unternehmen oder staatliche und politische Institutionen starten kann.

Oberstaatsanwalt Georg Ungefunk von der ZIT schätzt, dass ein Drittel der in Deutschland betriebenen PC infiziert sind. Dritte könnten große Staffeln von Computern so zu einem virtuellen Netzwerk zusammenschalten und dabei Unternehmen und Einrichtungen angreifen sowie in sozialen Netzwerken mit Scheinidentitäten Stimmung machen. Die Computereigner bekommen das gar nicht mit: „Sie merken höchstens, dass ihr PC langsamer wird“, so Ungefunk.

Besonders dreist Kaperung privater PC mit Trojanern. ZIT-Experte Krause zeigte ein Beispiel: Nach dem erfolgreichen Angriff blinkt auf dem Bildschirm ein Totenkopf. Dann erscheint der Schriftzug „You became victim of Ransomware“. Alle Daten und Programme des Computers sind verschlüsselt, nichts geht mehr. Gegen Zahlung von 100 bis 500 Euro übersenden die Abzocker einen Schlüssel, mit dem man seinen Computer und seine Daten wieder freischalten kann, wenn man Glück hat. „Bei diesem einträglichen ‚Geschäftsmodell‘ gibt es eine sehr große Dunkelziffer“, vermutet der Experte.

„Es ist die Geschichte von Hase und Igel“, sagte Bundes­innenminister de Maizière bei seinem Besuch im ZIT zu den Möglichkeiten, diesem neuen Feld der Kriminalität entgegenzutreten. Man sei in Deutschland allerdings gut aufgestellt.

Selbst „Dienst­leistungen“ wie ein Auftragsmord werden angeboten

„Mit dem Darknet ist theoretisch das perfekte Verbrechen möglich“, räumt Staatsanwalt Krause ein. Wer ein Verbrechen „einkauft“, mit anonymem Internetgeld bezahlt und Waren über falsche Identitäten und anonymisierte Postfächer liefern lässt, hat gute Chancen.

Der bislang spektakulärste Erfolg der Internetfahnder, die Ermittlung und Festnahme des Waffenlieferanten für den Münchner Amokläufer, war ein Glücksfall. Der Verkäufer ließ sich bei den verdeckten Fahndern auf einen Ortstermin zur Übergabe von Waffen und Geld ein und wurde geschnappt. Hätte er mit „bitcoins“ bezahlt und an ein anonymisiertes Postfach geliefert, wäre er vermutlich nicht so schnell aufgeflogen. Christoph Schmidt-Lunau