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Das dekonstruierte Konzert

Musikfilm Der Film „Bei Dir heute Nacht“, der von einem Auftritt des Hamburger Musikkabarettisten Bodo Wartke handelt, ist filmisch ambitioniert inszeniert. Einfallsreich nimmt er ein Konzerterlebnis auseinander

von Wilfried Hippen

Der Musikkabarettist Bodo Wartke sitzt bei seinen Auftritten meist am Piano und singt gern und oft Liebeslieder. Seine romantische Ader ist besser ausgeprägt als seine komische, denn seine Pointen verleiten eher zum Schmunzeln als zum lauten Lachen. Da singt er von der „sie“, die alle Klavierspieler schon gehabt haben und nach ein paar Zweideutigkeiten entpuppt sie sich als die „Sehnenscheidenentzündung“.

Die Oper parodiert er, indem er den Text einer Arie aus der Zauberflöte samt den Koloraturen als Sprachgesang vorträgt („lalalalala-la-la-la-la…“) und als Rapper disst er Insekten. Seit zwanzig Jahren hat Wartke ein treues Publikum und er hat so viel Erfolg, dass es inzwischen schon vier DVDs mit Aufzeichnungen seiner Konzerte gibt.

Ein Auftritt in Schmidts Tivoli, einer vor großem Publikum im Bremer Musicaltheater, einer mit Theaterszenen unter dem Titel „König Ödipus“ – das haben er und der Regisseur seiner Bühnenshows und Filme Sven Schütze alles schon gemacht. Deshalb haben sie für ihr neues Programm etwas Anderes probiert.

Hier wird es interessant, denn mit „Bei Dir heute Nacht“ versuchen sie mit vielen Tricks, Brüchen und Erzählebenen zugleich ein möglichst authentisches Konzerterlebnis zu vermitteln und dessen Künstlichkeit deutlich zu machen. So dekonstruieren sie den Auftritt und tun dies so einfallsreich und filmhandwerklich solide, dass man auch dann Vergnügen an dem Film haben kann, wenn man kein Fan von Bodo Wartke ist.

Schon mit der ersten Sequenz machen Schütze und der Co-Regisseur Michael Vogelmann klar, was sie wollen:Kino machen. Eine gemalte Stadtansicht auf einer Leinwand verwandelt sich da in eine mit einer Drohne aufgenommene Flugaufnahme über einer Straße in Altona. In einer einzigen ungeschnittenen Aufnahme landet die Kamera und folgt einem Paar beim Spaziergang durch die Straße, von der sie in einen Hinterhof einbiegen, in dem sie in ein kleines Theater gehen.

Die Aufnahme endet mit einer Nahaufnahme eines Plakats vor dem Theater. Hier soll gleich Bodo Wartke auftreten. Gefilmt wurde diese Sequenz vor dem Monsun-Theater, in dessen Gängen, dem Foyer und Café zahlreiche Szenen gedreht wurden, in denen das Publikum beim Kartenabreißen und später Wartke beim Warmspielen gezeigt werden.

Die Fiktion des Films ist, dass dieses Konzert in Echtzeit gezeigt wird. Neben den einzelnen Songs wird die Pause inszeniert und nach dem Konzert geht dann der Künstler hinaus auf die nächtliche Straße. Dokumentiert wird hier ein intimer Auftritt vor knapp 30 Freunden und Fans des Künstlers, die bequem in Socken fast wie in einem Wohnzimmer in Sesseln und auf Sofas sitzen. Einer der für diesen Film typischen Brüche besteht nun darin, dass dieser im Vergleich zu einem konventionellen Theatersaal viel kleinere Raum nicht in das Theater selber passte, sondern aufwendig auf der größten Bühne von Studio Hamburg nachgebaut wurde.

Hier wurden einzelne Songs und Shows von Wartke nun allerdings nicht, wie bei Konzertfilmen durchaus üblich, in vielen kleinen Aufnahmen zerstückelt aufgenommen. Trotz der vielen, oft komplizierten Einstellungen mit mehreren Kameras, reichte hier oft die erste Aufnahme aus. In diesem inszenierten Konzertraum wurde eine möglichst reale Konzertsituation geschaffen. Und das Publikum erlebte dort tatsächlich einen durchgängigen Auftritt von Wartke – allerdings mit ein paar längeren Pausen und Wiederholungen. Die Zuschauer waren keine Statisten, sondern tatsächlich Konzertbesucher.

Sven Schütze sagt zu dieser Methode, er sei dazu durch das postmoderne Theater mit seinen eklektizistischen Erzählweisen inspiriert worden. Wobei sich immer neue Ebenen von Inszenierungen und behaupteten Wahrheiten entfalten. Es habe ihn gereizt, auszuloten „welche Widersprüche wir den Zuschauern zumuten können und wo die Grenze liegt, von der an es für sie keinen Sinn mehr ergibt?“

Regisseur Sven Schütze sagt, er sei vom postmodernen Theater mit seiner eklektizistischen Erzählweise inspiriert worden

Nun ist der Rahmen, der den Film bei allen inszenatorischen Finten zusammenhält, die Verabredung mit dem Zuschauer. Und die Tatsache, dass er einen Auftritt von Bodo Wartke erleben und genießen kann. Damit bricht Schütze in keinem Moment des Films. Der Auftritt, die Songs, die Performance bleiben immer der Mittelpunkt des Films und die Brüche lenken nie von ihnen ab. So ist es etwa musikalisch reizvoll, wenn bei einem Song plötzlich neben der Bühne eine Swingkombo mit Schlagzeug, Bass und Gitarre auftaucht, die eine Begleitung spielt.

Bei einem Blues verschwindet das Publikum und Wartke tanzt auf der Bühne eng mit einer Partnerin – während er zugleich daneben auf dem Klavier spielt und singt. Einmal schaut er sich selber beim Singen zu, einmal lässt er sich selber bei einem Sketch auf der Bühne zurück, geht auf den realen Balkon des Theaters und singt dort ein Lied für jene, die lieber im Freien sitzen. Schließlich kommt er in seine Wohnung und singt einem Kind ein Wiegenlied, doch dann fährt die Kamera zurück und man erkennt, dass auch das Kinderzimmer im Studio nachgebaut worden ist.

Im Kino wäre der 132-minütige Film für alle nicht Wartke -Fans reichlich lang. Aber auf einer DVD können Längen, die der Film durchaus hat, übersprungen werden. Ein Zuviel kann es also bei diesem Medium kaum geben. Und so spricht auch wenig gegen die 152 Minuten Bonusmaterial mit Musikvideos, einem langen Making-Of, einem Filmessay zu einem der Songs und Zugaben, das sich auf einer zweiten DVD findet.

Aber warum gibt es nicht eine dieser Sequenzen im Film wieder, denn eine Zugabe gehört doch zu jedem gelungenen Konzertabend dazu? Das ist ein Bruch, der wohl nicht gewollt, sondern eher den Filmemachern unterlaufen ist.

Die DVD „Bei Dir heute Nacht“ kostet 19,90 Euro und kann unter www.reimkultur-mv.de/?SPId=bw bestellt werden

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