piwik no script img

Aus unserer Ratgeberreihe „Ausgehen und Rumstehen“Tun Sie Dinge, die Sie glücklich machen

Ausgehen und Rumstehen

von Svenja Bednarczyk

Haben Sie manchmal das Gefühl, nicht gut genug zu sein? Vergleichen Sie sich mit anderen? Zweifeln Sie an ihren Fähigkeiten? Dann begrüße ich Sie herzlich zu der Lebensberatungsausgabe von Ausgehen und Rumstehen.

Beginnen wir mit einer Emorunde. Das ist ein kleiner Gefühlsaustausch, um sich besser in die anderen Beteiligten hineinversetzen zu können. Ich bin erkältet, habe eine anstrengende Arbeitsphase größtenteils hinter mich gebracht und belohnte mich am Wochenende dafür mit einem Besuch des CTM, eines Festivals für elektronische Musik. Nun soll unsere heutige Sitzung das Thema Selbstfürsorge behandeln.

Passenderweise ging es auf dem CTM-Vortrag „Health vs. Hedonism“ am Freitag im Bethanien in Kreuzberg um fast genau das. Warum leiden Frauen, die in der Musikindustrie arbeiten, öfter an Ängsten, Selbstzweifeln und Depressionen als der Durchschnitt? Die Antwort der vortragenden „Gesundheitsexpertin“ darauf: Sie schlafen zu wenig, trinken zu viel Koffein, haben zu wenig Zeit für Menschen, die ihnen wichtig sind, machen nicht regelmäßig Sport und sind vielleicht biologisch und emotional anfälliger dafür, weil sie Kreative sind.

In dieser Nacht schlief ich zu wenig

Erkennen Sie sich wieder? Falls ja, kennen wir nun einige Ursachen – unabhängig davon, ob Sie in der Musikindustrie arbeiten oder eine Frau sind. Der simple Rat der Kollegin: Tun Sie Dinge, die Sie glücklich machen. Ich halte die Selbstoptimierungsstrategie der Vortragenden für falsch, befolgte aber ihren letzten Rat und ging am gleichen Abend ins Berghain: schlechte Luft, tolle Musik.

In dieser Nacht schlief ich zu wenig, trank zu viel Koffein, kämpfte mit Hustenanfällen, aber kein Moment machte mich glücklicher, als zum Fluxustechno des Künstlerduos N.M.O. zu tanzen. Halten wir einmal fest, was wir daraus lernen – schrei­ben Sie das ruhig mit: Auch das Gegenteil von Selbstfürsorge kann einem guttun. Zugegeben, ist das eher die Kurzzeitstrategie. Denn am Samstag ist die Erkältung schlimmer geworden. Mit viel Kaffee und Ibuprofen in mir ging ich zum Gespräch mit der US-Künstlerin Moor Mother im Bethanien.

Als eine Besucherin sie nach ihrer Art der Selbstfürsorge fragt, gibt Moor Mother eine großartige Antwort: Ihr sei der Gesamtverlauf des Lebens wichtiger, als auf die täglichen Gewohnheiten zu achten. Denn was sollen das Chichi und die Überhöhung von Alltagsverhalten? Was wir daraus lernen, Nummer 2, diesmal langfristig: Achten Sie mehr auf das große Ganze. Denn Lebensphasen ändern sich, und so gehen auch die schlimmsten Zeiten einmal vorüber, behalten Sie das im Blick.

Das Wort „Kapitalismus“ hatte ich nicht erwartet

Aber was kann man denn nun mittelfristig tun, um Selbstzweifel und Ängste zu bekämpfen? Bestätigung tut gut, holen Sie sich positive Rückmeldungen aus Ihrem Umfeld. Und: So blöd es klingt, regen Sie sich zusammen auf.

Am Sonntag treffe ich deshalb die politische Freundin M. im Haus der Kulturen der Welt auf der Transmediale, dem Festival für Medienkunst, aus dem heraus sich das CTM gründete. „Manche Menschen auf dem Podium reden hier über Dinge, von denen sie keine Ahnung haben“, regt sich M. auf. Die ModeratorInnen seien schlecht vorbereitet, die Podiumsgäste wissen nichts übereinander. Und: „Zu oft wird die gesellschaftliche Ebene nicht erwähnt.“

Ich selbst war nur auf einen Kaffee vorbeigekommen und habe keine Veranstaltung besucht, doch erzähle ich vom Vortrag „Health vs. Hedonism“, bei dem die Vortragende selbst auch ganz ohne gesellschaftliche Aspekte für Selbstzweifel, wie beispielsweise prekäre Arbeitsverhältnisse, auskam. Das Wort „Kapitalismus“ hatte ich nicht mal erwartet. M. schüttelte entrüstet den Kopf. Ich schüttelte mit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen