DIE EU UND MAROKKO MISSBRAUCHEN DIE BILDER AUS CEUTA UND MELILLA: Der nützliche „Massenansturm“
Einen „Massenansturm“ habe es gegeben auf die spanischen Exklaven in Marokko, berichten die Medien unisono. Zweifellos haben Menschen aus dem südlichen Afrika seit Tagen versucht, nachts über den Grenzzaun zu gelangen. Allerdings signalisiert das Wort Massenansturm, dass sich in Marokko Massen von Schwarzen aufhalten, die nach Europa kommen wollen. Sie sind vorgeblich Teil jener Invasion, vor der uns die Innenminister warnen – und die jeweils mit einer Erhöhung der Grenzzäune beantwortet wird.
Tatsächlich sind es gerade diese Zäune, die jene Bilder vom „Massenansturm“ schaffen. In Marokko gibt es überhaupt keine Massen von Transitmigranten – dort halten sich höchstens zwischen 1.500 und 3.000 Personen aus dem südlichen Afrika auf. Sie freilich sind so verzweifelt, dass sie den „Massenansturm“ zur Taktik gemacht haben: Organisiert angreifen, um so viele Leute wie möglich rüberzubringen. Die Transitmigranten leben an drei Orten Marokkos: in den Wäldern bei Ceuta, in den Hügeln bei Melilla und auf einem kleinen Areal mitten im Campus von Oujda. Sie haben keine Unterkunft, nicht einmal Zelte, keine Arbeit, keine regelmäßige Ernährung, keine Gesundheitsversorgung. Nachts kommt die marokkanische Polizei und verbrennt ihre Decken. Von der marokkanischen Bevölkerung werden sie verachtet und sogar bestohlen – denn manche Marokkaner wissen, dass viele ein bisschen Geld für die Schleuser bei sich haben. Die meisten Schwarzen wollen einfach nur weg aus Marokko – auch gern zurück in ihr Heimatland. Es wird ihnen aber keine Möglichkeiten gegeben. Sie können weder vor noch zurück.
Das ist politisch gewollt, denn diese Transitmigranten sind ein politischer Spieleinsatz geworden. Für Marokko: Die Monarchie braucht die Migranten, um Gelder von der EU zu bekommen – für den Kampf gegen die illegale Einwanderung. Für die EU: Die braucht Bilder vom „Massenansturm“, denn die beweisen die angebliche Bedrohung Europas und helfen, den Kontinent weiter abzudichten. Dieser „Massenansturm“ hätte sich leicht verhindern lassen, wenn es in der EU statt Abschottung eine transparente Einwanderungspolitik gäbe. MARK TERKESSIDIS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen