Frauenstrafvollzug Berlin: Schöner einsitzen in Pankow
So viel wurde selten über ein Gefängnis gejubelt: Der Frauenknast Pankow ist wieder in Betrieb. 2015 war er wegen Personalnotstands geschlossen worden.
Jubel sei bei den Inhaftierten und Justizbediensteten ausgebrochen, erzählt Andreas Kratz. „Alle haben sich riesig gefreut, nach Pankow zurückzukommen.“ Kratz ist Leiter der Frauenhaftanstalt. Die verfügt über rund 200 Haftplätze und ist auf vier Standorte verteilt: Lichtenberg, Neukölln, Reinickendorf und Pankow. Letzterer war wegen Personalmangels eineinhalb Jahre geschlossen. Am Montag hatte der neue Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) anlässlich der Wiederöffnung zu einem Rundgang eingeladen.
Wie bitte? Ein Grüner, der als eine seiner ersten Amtshandlungen einen Knast aufmacht, statt welche zu schließen? Gefangene, die jubeln, weil sie weiter hinter Gitter sitzen dürfen? Um die Vorgänge zu verstehen, muss man einen Schritt zurückgehen.
Im Sommer 2015 hatte der damalige CDU-Justizsenator Thomas Heilmann wegen eines allgemeinen Personalnotstands im Strafvollzug die Schließung des Frauenknasts Pankow angeordnet. Rund 60 Haftplätze gab es dort. Inhaftierte, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßten – das waren circa 30 Insassinnen – wurden entlassen. Die übrigen mussten nach Lichtenberg umziehen.
Die Inhaftieren machten einen Aufstand. Protestbriefe wurden geschrieben. Sie hätten Angst, bei einer Verlegung ihren Arbeitsplatz zu verlieren und fortan in einer Doppel- statt Einzelzelle leben zu müssen, weniger Besuchszeiten zu haben und durch die Berührung mit Drogenabhängigen möglicherweise selbst wieder rückfällig zu werden.
Aber der Umzug war beschlossen. Begründet wurde die Schließung von Heilmann mit einer „Personalunterdeckung“ von 25 Prozent – infolge eines sehr hohen Krankenstands und altersbedingten Ausscheidens in den Ruhestand. Wegen eines von der rot-roten Vorgängerregierung verhängten Ausbildungsstopps stehe derzeit kein Nachwuchs zur Verfügung, der die Lücken füllen könne.
Und nun im Januar 2017 ist wieder genug Personal da? Von wegen. „Wir haben die Talsohle noch nicht erreicht“, sagt Behrendt. Wegen des altersbedingten Ausscheidens gebe es viele freie Stellen. Zwar würden jetzt viel mehr Leute ausgebildet, aber die positive Entwicklung werde erst Mitte 2018 spürbar werden.
In den Berliner Knästen (offener und geschlossener Vollzug) sitzen derzeit 4.600 Menschen ein. 95 Prozent sind männlich, 5 Prozent weiblich.
Am größten ist die Männerhaftanstalt Tegel mit 924 Insassen, gefolgt von der JVA Moabit mit 922 Insassen.
Die vier Standorte der Frauenhaftanstalt (offener Vollzug inklusive) haben rund 200 Haftplätze.
Der Anteil der Berliner Häftlinge in Altersgruppen: unter 21: 4 Prozent; 21 bis 30: 25 Prozent; 30 bis 40: 35 Prozent; 40 bis 50: 20 Prozent; 50 und älter: 16 Prozent (plu)
Aber warum wird Pankow dann wieder aufgemacht? Lichtenberg sei um 30 Prozent überbelegt, sagt Anstaltsleiter Kratz. Das Leben in Doppelzellen sei den Frauen nicht länger zumutbar. Auch Ersatzfreiheitsstrafen müssten wieder vollstreckt werden. Heilmann habe die Vollstreckung im Sommer 2015 ausgesetzt, ergänzt Behrendt. „Können Sie sich die Presse vorstellen, wenn ich das gemacht hätte?“
Eine Ersatzfreiheitsstrafe wird vollzogen, wenn eine von einem Gericht verhängte Geldstrafe nicht bezahlt worden ist. Zumeist handelt es sich dabei um Kleinkriminalität wie Schwarzfahren. Menschen, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen, leben zumeist in prekären Verhältnissen. Es steht zu vermuten, dass der Vollstreckungsstau bei den Ersatzfreiheitsstrafen so groß geworden ist, dass es für Behrendt nur die Alternativen gab: eine Generalamnestie erlassen. Oder eben Haftplätze schaffen.
30 Insassinnen sind bereits zurück in Pankow. Bei dem Rundgang am Montag sind sie nicht zu sehen. Dafür kann der Mutter-Kind-Bereich bewundert werden. Die Atmosphäre ist freundlich, wären da nicht die Gitter und die abschließbaren Türen. Über die Wände laufen Fantasiefiguren in bunten Farben, die Möbel sind aus Pressspannplatten gezimmert, alle Frauen haben einen eigenen Sanitärbereich, Telefon und Fernseher in ihrer Zelle. „Wir versuchen nach außen sicher zu sein und nach innen so liberal wie möglich“, sagt Anstaltsleiter Kratz.
„Die Frage der Amnestie hat sich nicht gestellt“, sagt der Justizsenator bei dem Rundgang. 50 Prozent der Ersatzfreiheitsstrafen beträfen Schwarzfahren. Das sei ein grundsätzliches Problem. Gelöst werden könne das letztendlich nur dadurch, dass Schwarzfahren nicht mehr wie jetzt als Straftat eingestuft werde, sondern als Ordnungswidrigkeit. Er sei für die Entkriminalisierung, sagt Behrendt. Aber das zu ändern sei Aufgabe des Bundesgesetzgebers.
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