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Vom Flüchten erzählen

Bilder Gerade eröffnete in der kommunalen Fotogalerie Friedrichshain die Ausstellung „Woher – Wohin“ mit zehn Reportagen zum Thema Flucht – wie sie immer und überall stattgefunden hat

„Y und M“ (der Porträtierte ist über das Mittelmeer nach Deutschland gekommen und hat eine Zeit lang in der Wohnung des Fotografen gewohnt) Foto: Eckard Lindenblatt

Ein Jahr lang haben sie im Lehrgang am Photocentrum der Gilbert-Bosques-Volkshochschule in Friedrichshain-Kreuzberg gearbeitet, nun kann die Reportageklasse der Fotojournalistin und ehemaligen taz-Redakteurin Ann-Christine Jansson endlich zeigen, welche Facetten von Flucht sie ausgegraben und in Szene gesetzt hat.

„Ahmad Al Hamidi“ (Baletttänzer aus Syrien, der über die Balkanroute nach Deutschland floh) Foto: Marisa Reichert
Für eine der Arbeiten reiste die Fotografin auf der Fluchtroute ihres Vaters vom heutigen Polen bis nach Berlin. Immerhin jeder fünfte Mensch im Deutschland der Nachkriegszeit hat Flucht selbst erlebt

Viele der Schüler haben die Situation von Flüchtlingen in Berlin fotografiert, viele haben auch persönliche Geschichten von Geflüchteten erzählt, die sie bereits während ihrer oft ehrenamtlichen Arbeit kennengelernt hatten: Arnaud Roi etwa, der laut Katalogtext in einem Gartenprojekt für Flüchtlinge auf einer Brache eines Kreuzberger Friedhofs gearbeitet hat und erst nach und nach zu schätzen lernte, dass die Männer, mit denen er zu tun hatte, nicht nur gemeinsam Deutsch lernen, sondern auch die Chance bekommen, sich über handfeste Gartenarbeit näherzukommen und auszutauschen. Oder Marisa Reichert, die Momentaufnahmen aus dem Alltag eines Bekannten zeigt: von Balletttänzer Ahmad Al Hamidi, der 2015 über die Balkanroute nach Deutschland kam.

„Spurensuche“ (Stationen der Flucht 1944–45 des Vaters der Fotografin) Foto: Antje Johnigk

Andere wie Miriam Hisom und Claudia Mikat haben sich nicht auf das Naheliegende gestürzt. Die eine setzte sich mit der Flucht ungarischer Nationalisten in die Vergangenheit auseinander, die andere mit der Landflucht im Umland von Berlin. Und die Berlinerin Antje Johnigk dokumentierte die Flucht ihres Vaters Ende des Zweiten Weltkriegs. Sie befasst sich auf sehr persönliche Art mit ihrer Familiengeschichte. Auf der Route des Vaters reiste sie vom heutigen Polen bis nach Berlin und zeigt damit: Jeder fünfte Mensch im Deutschland der Nachkriegszeit hat Flucht erlebt. Dementsprechend viele müssen sich noch immer an ihre eigenen Geschichten erinnern, wenn sie heute die aktuellen Nachrichten verfolgen. (sm)

„Wurzeln schlagen“ (Foto aus einem Gartenprojekt für Geflüchtete in Berlin) Foto: Arnaud Roi

„Woher – Wohin“, Ausstellung bis 3. 2., Di., Mi., Fr., Sa. 14–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr. Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1, Diskussion „Unsere Bilder von Flucht“: 19. 1., 19.30Uhr

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