Stadtgespräch
: Die Kälte überhitzt

Die hoch aufgedrehten Klimaanlagen killen Argentiniens Stromnetz. Jetzt fordert der Präsident zum Sparen auf

Jürgen Vogtaus Buenos Aires

In Buenos Aires surren die Klimaanlagen. Seit Tagen pendeln die Temperaturen um die 35-Grad-Marke. Auch nachts fallen sie selten unter 20 Grad. „Ohne meine Aire könnte ich gar nicht schlafen“, stöhnt Carlos Ponce. Aire ist für ihn und alle hitzegeplagten Porteñas und Porteños der magische Kosename für die Aire Acondicionado, ihre Klimaanlage. Und an deren Reglern will der Präsident jetzt drehen.

Statistisch verfügt jeder Vierte der 42 Millionen ArgentinierInnen über eine Klimaanlage. In der Hauptstadt dürfte es sogar jeder Dritte sein. In den letzten drei Jahren wurden 4,6 Millionen Geräte verkauft. Allein im vergangenen Jahr waren es mit 1,4 Millionen ausgelieferten Klimaanlagen 50 Prozent mehr als 2009 und doppelt so viele wie noch 2005.

Argentiniens Stromverbrauch liegt pro Kopf um das Fünffache über dem lateinamerikanischen Durchschnitt. Und der hohe Verbrauch führt immer wieder zu Stromausfällen. Nach Angaben des Versorgerunternehmens Edenor haben sich in den Jahren 2004 bis 2012 die Blackouts verdoppelt. In den Folgejahren wurden sie nicht weniger, und auch diesen Sommer kommt es in einigen Stadtteilen ständig zu Ausfällen.

„Wir dachten, der Strom ist gratis und begannen mit der Verschwendung eines knappen Gutes“, erhob Präsident Mauricio Macri jetzt den Zeigefinger, wetterte gegen die „energiepolitische Misswirtschaft der Vorgängerregierung“ und ging schnurstracks ans Eingemachte: „Die Klimaanlage ist das unberechenbarste Element, das in diesen explosiven und unheilvollen Cocktail integriert wurde, den sich die Vorgängerregierung ausgedacht hat und der erzieherisch korrigiert werden muss“, so der Präsident.

In den Werbespots der Regierung werben jetzt Oscar, der Schlosser, Ricardo, der Fleischer, und Juan, der Eisverkäufer, dafür, dass alle ihre Aires auf 24 Grad einstellen sollen. „Wenn wir alle Klimaanlagen auf 24 Grad statt auf 20 Grad einstellen, können wir 850 Megawatt einsparen, so viel wie das Atomkraftwerk Atucha II erzeugt“, erklärt In­ge­nieur Juan Pablo Mirable vom Elek­tri­zi­täts­kon­troll­zen­trum der Provinz Santa Fe, der in den Spots als Experte auftritt. Er macht jedoch klar: Nicht Mangel an Strom ist schuld an den Ausfällen, sondern das marode Netz: „Der hohe Verbrauch überlastet das Leitungssystem und führt zum Stromausfall.“

„Schau dir die Protagonisten der Spots an. Die zielen auf die untere Mittelschicht und darunter“, analysiert Carlos Ponce, der nach eigenen Angaben im informellen Sektor arbeitet. Vor 15 Jahren liefen Klimaanlagen nur in gutbetuchten Haushalten, jetzt seien sie Allgemeingut. „Nicht die Klimaanlagen der Armen sind schuld, sondern die Versorgungsunternehmen.“ Diese hätten jahrelang mit dem Verweis auf die niedrigen Tarife nicht investiert. „Quatsch“, kontert Ponce. „Den Stromversorgern war es doch egal, ob die Rechnung vom Staat oder vom Konsumenten bezahlt wurden“, sagt Ponce. „Die Kirchner-Regierung hat immer die Versorger für die Ausfälle zur Rechenschaft gezogen und sie mit Strafen belegt.“

„Schlimm ist, dass eine ganze Generation mit der Illusion aufwuchs, dass Strom nichts koste“, sagt Mora Pedriel. Bis Anfang 2016 gab es keine Anhebung der Stromtarife im Großraum von Buenos Aires. Niedriggehalten wurden sie durch staatliche Subventionen.

Entsprechend laufen die Klimaanlagen. Wer auf den Gehwegen der Einkaufsmeilen entlangschlendert, dem kommen die kühlen Brisen aus den stets offenstehenden Türen der Boutiquen entgegen. „Wir haben jetzt automatische Türen einbauen lassen“, so Pedriel, die auf der Avenida Santa Fe eine Boutique betreibt. Keine 50 Tage im Amt, kündigte der neue Energiemister Juan José Aranguren die komplette Streichung der Subventionen und eine saftige Anhebung der Stromtarife um bis zu 700 Prozent an. Ein Aufschrei ging durch das Land und ließ die Regierung schnell zurückrudern. Jetzt versucht sie nach öffentlichen Anhörungen, die stufenweise Anhebung der Tarife durchzusetzen.