„Ein Armutszeugnis“

Neonazis Der Antrag auf ein NPD-Verbot ist abgelehnt. Für Berlin hätte ein Verbot aber keinen großen Unterschied gemacht, sagt Rechtsextremismus-Experte Michael Trube

NPD und andere Neonazi-Gruppen demonstrieren öfter in Marzahn-Hellersdorf, hier gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft Foto: Christian Ditsch

Interview Malene Gürgen

taz: Herr Trube, das Bundesverfassungsgericht hat den Antrag auf ein Verbot der NPD abgelehnt. In Berlin ist die ­Partei ohnehin in einer schweren Krise – hätte ein Verbot hier ­überhaupt etwas geändert?

Michael Trube: Zumindest einen ganz konkreten Unterschied hätte es gemacht, und zwar was die Bundesgeschäftsstelle in Köpenick angeht: Das Haus wäre eingezogen worden, und damit hätte die Partei einen sehr wichtigen Ort verloren. Dort finden immer wieder Veranstaltungen statt, Vorträge oder Konzerte oder auch Grill­abende – einen anderen Ort, an dem sich die NPD so ungestört treffen kann, gibt es unseren Informationen nach momentan in Berlin nicht.

Woran liegt das?

Zum einen natürlich an den finanziellen Problemen der Partei, bei denen eine Raummiete schon ins Gewicht fällt. Dann gibt es eine große Sensibilität aufseiten der Vermieterinnen und Vermieter in Berlin dahingehend, dass man mit der NPD keine Mietverträge schließt. Was rechtsextreme Treffpunkte insgesamt angeht, sind es natürlich immer wieder auch zivilgesellschaftliche Initiativen, die in den letzten Jahren dafür gesorgt haben, dass die Szene diese Orte verloren hat.

Welche Auswirkungen hätte ein Verbot finanziell für den Berliner Landesverband gehabt?

Michael Trube

arbeitet bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, die zivilgesellschaftliche und politische Akteure im Kampf gegen rechts unterstützt und dafür von Bund und Land gefördert wird.

Da die Partei in Berlin mittlerweile in keinem Bezirksparlament mehr vertreten ist, hat sie die entsprechenden Gelder und Räume bereits verloren. Insofern wären die finanziellen Auswirkungen eines Verbots hier sehr gering gewesen.

Bei der letzten Wahl kam die NPD berlinweit auf nicht mal ein Prozent, auch auf der Straße entfaltet sie kaum noch Stärke – ist die Partei auch ohne Verbot hier so gut wie tot?

Tatsächlich ist es so, dass selbst die Kreisverbände, die bisher noch relativ aktiv waren, ihre Aktivitäten in den letzten Monaten noch einmal deutlich zurückgefahren haben. Erst vor Kurzem hat die Partei zum Beispiel für den Protest beim Tag der Offenen Tür in einer Flüchtlingsunterkunft in Marzahn-Hellersdorf nicht mal mehr 20 Leute zusammengebracht. Selbst bei diesem Thema, das ja nach wie vor das mit Abstand größte Mobilisierungspotenzial in der extremen Rechten hat, gelingt es der NPD also nicht mehr, eine nennenswerte Anzahl von Leuten zusammenzubringen. Das ist schon ein Armutszeugnis.

Erwarten Sie, dass das so bleibt?

Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag den Antrag auf ein NPD-Verbot abgelehnt. Begründung: Die Partei verfolge zwar verfassungsfeindliche Ziele, sei aber zu bedeutungslos, um die Demokratie ernsthaft zu gefährden.

Bürgermeister Michael Müller nannte die Entscheidung „bedauerlich“. Nun müsse die Auseinandersetzung mit demokratischen Mitteln weitergeführt werden.

Die Serie vermutlich rechtsextremer Anschläge geht derweil weiter: Am Wochenende wurde das Auto einer Gruppenleiterin der Falken in Neukölln in Brand gesteckt, wie jetzt bekannt ­wurde. (mgu)

Man wird jetzt schon noch mal sehen müssen, ob das zum Teil auch taktisch motiviert war, sich in den letzten Monaten des laufenden Verbotsverfahren so ruhig zu verhalten. Wir werden sehen, ob diejenigen Kreisverbände, die noch über eine halbwegs funktionierende Struktur verfügen, ihre Aktivität zur Bundestagswahl hin wieder verstärken, um zumindest in den Genuss der Wahlkampfkostenerstattung zu kommen – mehr kann die Berliner NPD da realistisch aber auch nicht erwarten.

Die rechtsextreme Szene ist in Berlin insgesamt in der Krise – gibt es Anzeichen dafür, dass sich das in nächster Zeit ändert?

Was das klassisch rechtsex­treme Milieu angeht, gibt es im Moment auf jeden Fall wenig Anzeichen dafür, dass das noch mal an Attraktivität gewinnen könnte in nächster Zeit. Es gibt Leute in der Szene, die sich jetzt wieder auf militante Aktio­nen verlegen, die Anschläge in Neukölln sind in diesem Zusammenhang zu sehen, aber das sind nach unseren Informatio­nen keine neuen Aktivisten. Wenn es eine Gruppierung gibt, die in nächster Zeit noch mal für etwas Aufruhr sorgen kann, dann sind das die Identitären – die sind viel unverbrauchter und durch den vorgeblich fehlenden NS-Bezug auch viel anschlussfähiger als das klassische rechtsextreme Spektrum.