Bezahlbares Wohnen in Deutschland: Billig geht nur in Pirmasens
Immer weniger jüngere Leute leisten sich ein Eigenheim. Wer eine Familie gründet, will im teuren Ballungszentrum bleiben.
In Pirmasens zum Beispiel kostet ein älteres Reihenhaus mit 85 Quadratmeter Wohnfläche rund 60.000 Euro, in Cottbus 85.000 Euro. Die Sozialforscher des Pestel-Instituts in Hannover errechneten, dass die Finanzierung des Reihenhauses in Pirmasens alljährlich nur mit 3.317 Euro zu Buche schlüge. Demgegenüber kostet eine gleich große Mietwohnung in Pirmasens 3.631 Euro pro Jahr, wäre also etwas teurer.
Der Abgleich von Miet- und Eigentumspreisen in wirtschaftlich schwachen Städten stammt aus einer neuen Studie des Pestel-Instituts. In Wirklichkeit würde ein Jobcenter die Anschaffung einer Eigentumswohnung oder eines Reihenhauses nicht finanzieren, und sei der Kredit auch noch so billig. Bei Eigenheimbesitzern übernimmt das Jobcenter nur die Darlehenszinsen und andere Nebenkosten, aber keine Tilgung.
Eigentumsquote sinkt um zehn Prozent
Dort, wo jeder hin will, herrschen ganz andere Preise. In München kostet ein kleines Reihenhaus gut über eine halbe Million Euro. Immer weniger jüngere Leute erwerben eine Immobilie. „Die Eigentumsquote der 30- bis 40-Jährigen ist in den vergangenen fünfzehn Jahren um mehr als zehn Prozent zurückgegangen. Dabei gehörten gerade die Jobstarter und Familiengründer zur typischen Klientel für Wohnungskauf und Hausbau“, sagte Matthias Zeeb vom Pestel-Institut, das die Studie im Auftrag von Bauindustrie- und Immobilienverbänden erstellte, am Montag.
Die Wohneigentumsquote liegt in Deutschland nur bei 43 Prozent. Der Anteil der Eigenheimbesitzer in Europa ist nur in der Schweiz und in Schweden noch geringer. Von den fertiggestellten 216.000 Wohnungen im Jahre 2015 waren allerdings 68 Prozent Eigentumsimmobilien. Die meisten Wohnungssuchenden können sich diese Neubauten nicht leisten.
Dass die Preise in den Ballungszentren explodieren, das liegt auch am Umzugsverhalten der Bundesbürger. Zum einen studieren heute mehr jüngere Leute als früher und ziehen daher vermehrt in die beliebten Universitätsstädte. Auch arbeiten heute meist beide Eltern, da sollen die Wege zur Arbeit und zur Kita kurz sein. Pendeln ist teurer geworden wegen der Benzinpreise. „Heute verbleiben die jungen Familien zunehmend in den Städten“, heißt es in der Studie dazu.
Mietwohnungen in den Ballungszentren sind heiß begehrt. Stefan Thurn, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), forderte daher auf der Fachmesse BAU in München am Montag ein „Akut-Paket Wohnungsbau 2017“. Dieses müsse deutlich bessere Steueranreize bieten. Vor allem die Erhöhung der steuerlichen Abschreibung der Neubauten von zwei auf drei Prozent sei überfällig. Für Ballungsräume müsse es zusätzlich eine Sonderabschreibung geben. Zudem sei ein „Neustart“ des sozialen Wohnungsbaus dringend nötig.
Wie mühsam das ist, zeigen die Anstrengungen in den Bundesländern. Nach jahrelangem drastischem Schwund im Bestand kurbelt beispielsweise Nordrhein-Westfalen den sozialen Wohnungsbau wieder an. Mit über 11.000 geförderten Wohnungen wurden 2016 die Werte der Vorjahre nach Angaben von Landesbauminister Michael Groschek (SPD) deutlich übertroffen.
Allerdings können die Lücken nicht vollständig geschlossen werden. Hunderttausende Wohnungen seien inzwischen aus der Sozialbindung gefallen, berichtete Groschek am Montag in Düsseldorf. 2015 habe NRW noch knapp 476.000 Sozialwohnungen im Bestand gehabt. Im Vergleich zum Höchststand, 1979 ist das weniger als ein Drittel von einst über 1,6 Millionen Sozialwohnungen.
Ein Vorstoß von Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD), Abschreibungen beim Mietwohnungsneubau zu erleichtern, ist im vergangenen Jahr gescheitert. Auch die Idee von Hendricks, Eigenheimbau mehr zu fördern, liegt brach. Die SPD verspricht im kommenden Wahlkampf vor allem einen besseren Mieterschutz und Entlastung bei den Nebenkosten beim Erwerb einer Immobilie.
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