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Flocken Früher war mehr Schnee. Das glaubt irgendwie jeder. Aber stimmt das auch?In Schneegestöbern

Foto: Kevin McCollum/plainpicture

von Doris Akrap und Luca Spinelli

Es ist jedes Jahr dasselbe. Erst warten alle auf das, was sie früher angeblich immer hatten: komplettes Verkehrschaos an Weihnachten wegen Schneeverwehungen. Und fällt dann irgendwann im Januar Schnee, tun alle so, als wäre er ihr erster.

Schnee zieht immer. Zum einen, weil er ein Wetter ist, das eine eindeutige Farbe zu haben scheint. Zum anderen, weil es das einzige Wetter ist, das man anfassen und formen kann. Jeder Schritt auf ihm fühlt sich so an, als würde man in „Kuschelfederwolkenwatte“ reinsteigen, wie der Pumuckl sagte, als er seinen ersten Schnee sah.

Schnee fasziniert aber auch, weil er alles leiser macht. Zunächst jedenfalls: Frischer Schnee besteht zu etwa 90 Prozent aus Luft. Da die Eiskristalle ungeordnet aufeinander liegen, entsteht zwischen ihnen ein Labyrinth von Hohlräumen. Treffen die Schallwellen auf dieses Labyrinth, kommen sie zwar rein, finden aber nicht mehr raus. Ein Teil des Schalls bleibt in der Schneedecke hängen. Wenn Eltern ihren Kinder auf einer Sommerwiese hinterherbrüllen, hören die Kinder das wesentlich lauter als auf derselben Wiese mit Schneedecke.

Schnee ist keine Mangelware oder Ausnahmeerscheinung. Es gibt ihn reichlich. Ob als Blizzard oder als Verwehung, als Schauer oder Sturm, als Treiben oder als Gestöber – es gibt wesentlich mehr Schnee als Hagel oder Graupel. Schnee ist die häufigste Form des sogenannten „festen Niederschlags“.

Das Gedächtnis ist ein Teufelszeug. Aber die tückischste aller Erinnerungsleistungen ist das Wetter-Gedächtnis. So ziemlich jeder behauptet, früher war mehr Schnee. In seinen Kindertagen hätte man ständig auf Schlitten gesessen und sei auf gefrorenen Seen geschlittert.

Aber nicht nur die Erinnerung an die eigene Kindheit täuscht. Schon nach wenigen Wochen haben die meisten Leute vergessen, wie der Winter oder der Sommer war. Markante Daten scheinen das Gedächtnis für Wetter zu prägen. Hatte man geplant über die Feiertage in die Berge zu fahren und dort aber wenig Schnee angetroffen, ist der Eindruck im Frühjahr, dass der Winter mau war. So wie der Sommer als verregneter Sommer in Erinnerung bleibt, wenn man an den beiden Wochenenden, an denen man zum See fahren wollte, von einem starken Regentag daran gehindert wurde.

Die Wetterforscher sind sich allerdings einig: „Früher war mehr Schnee“ lässt sich so nicht behaupten. Jedenfalls nicht für die meisten Regionen Deutschlands.

Trotz Klagen des Skitourismus lässt sich auch in den Skiregionen Deutschlands (Alpen, Östliche Mittelgebirge, Schwarzwald und Westliche und Zentrale Mittelgebirge) diese Aussage nicht wirklich halten. Im Wintersport gilt ein Gebiet als schneesicher, wenn es mindestens 100 Tage eine für den Skisport ausreichende Schneedecke von 30 cm (Ski alpin) beziehungsweise 15 cm (Ski nordisch) hat. Im „Monitoringbericht 2015“, den die Arbeitsgruppe der Bundesregierung zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel erstellt hat, wurde die Schneesicherheit für die Skiregionen in Deutschland dokumentiert. In dem Zeitraum 1970 bis 2012 kommt sie zu dem Ergebnis: „Für keine der Skiregionen in Deutschland zeigt die Anzahl der Tage mit einer natürlichen Schneedecke von mindestens 30 cm einen signifikanten Trend.“

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) allerdings stellt in einem auf Anfrage der taz erstellten Bericht Folgendes fest: „Konzentriert man sich nicht nur auf die Schneehöhe, sondern fragt, wie lange der Schnee liegen bleibt, sieht die Antwort etwas anders aus. In den Alpen, aber auch andernorts finden sich Trends hin zu weniger Zeiten mit Schneebedeckung.“ Insbesondere die Schneedeckendauer, also die Zahl der Tage eines Winters mit Schneedecke, hat sich laut DWD etwas vermindert. Und auch die Schneedeckenzeit, also die Spanne vom ersten bis zum letzten Schneedeckentag eines Winters, habe sich „fast überall spürbar vermindert“.

Man könnte also vorsichtig behaupten: Früher war nicht mehr Schnee. Aber ein bisschen länger.

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