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Nachruf auf Clare HollingworthZeitzeugin der großen Kriege

Clare Hollingworth berichtete als Erste von dem Beginn des Zweiten Weltkrieges und blieb bis ins stolze Alter von 105 Reporterin. Nun ist sie tot.

Furchtlose Journalistin: Clare Hollingworth an ihrem 105. Geburtstag Foto: ap

Immer saß sie da, wenn man in den Hongkonger Club der Auslandskorrespondenten kam: gleich rechts am Tisch, in Reichweite des Telefons, zusammengesunken, dicke Kopfhörer auf den Ohren, mit Blick auf die Nachrichten im Fernsehen. Ab und zu traten Bekannte zu ihr und grüßten liebe- und ehrfurchtsvoll, und der Kellner füllte formvollendet ihr Glas nach. Am 10. Oktober 2016 hatte die britische Kriegsreporterin und Weltbürgerin Clare Hollingworth hier noch ihren 105. Geburtstag gefeiert. Am 10. Januar ist sie gestorben.

Ein Windstoß, ihre scharfen Augen und ein Gespür für die Zeitläufe verhalfen ihr Ende August 1939 zu ihrem ersten journalistischen Coup – da war die junge Friedensaktivistin und Flüchtlingshelferin gerade erst eine Woche in ihrem neuen Job als Korrespondentin des britischen Daily Telegraph: Unter dem Titel „1.000 Panzer an der polnischen Grenze zusammengezogen“ berichtete sie über den unmittelbar bevorstehenden Einmarsch der Deutschen im Nachbarland.

Bei einer einsamen Autofahrt hatte sie den Wehrmachtskonvoi in einem Tal entdeckt, als die zur Camouflage aufgehängten Tücher kurz hochwirbelten. Drei Tage später, am 1. September, meldete sie als erste Journalistin den Beginn des Zweiten Weltkriegs: „Es hat angefangen“.

Sie wurde Zeitzeugin fast aller großen Kriege, Konflikte und Krisen des 20. Jahrhundert – von A wie Algerien bis Z wie Zypern. Mit Zahnbürste, Schlafsack, Whisky und Schreibmaschine bewaffnet zog sie los.

Sie konnte rau sein und war furchtlos. Sie kam dem britischen Sowjetspion Kim Philby auf die Spur und ließ sich nicht von Redakteuren abwimmeln, die keine Frauen in gefährliche Gebiete losschicken wollten. Sie schrieb in ihrem Leben für viele Zeitungen, veröffentlichte mehrere Bücher, heiratete zweimal, hatte eine Stieftochter.

Seit den 1980er Jahren lebte sie in Hongkong. Wenn sie – schon hoch in den Neunzigern – wie fast jeden Tag im Auslandskorrespondentenclub saß und über den TV-Monitor Bilder von Unruhen oder Demonstrationen flimmerten, griff die Journalistin ganz automatisch zum Telefon: „Da muss doch jemand drüber berichten!“

Jetzt bleibt ihr Stammplatz leer.

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