piwik no script img

Kolumne Hier und dortJeder betete auf seine Weise

Silvester war in Syrien ein Anlass für gegenseitiges Verzeihen und Frieden. Heute fehlt die Hoffnung auf ein glückliches neues Jahr.

Zerstörter Laden nördlich von Aleppo. Foto: ap

A b dem frühen Morgen herrschte eine außergewöhnliche Betriebsamkeit im Haus. Erwachsene, die nicht zur Arbeit gingen, und Kinder, die nicht zur Schule mussten. Alle hatten an diesem Tag etwas zu erledigen. Der Familienvater war in der Regel damit beschäftigt, verschiedene Fleischsorten zu kaufen, die für mindestens zwanzig Leute reichen würden; und mit Holzhacken für das große Grillfest. Die anderen Familienmitglieder verbrachten den Tag mit der Zubereitung von Salaten und diversen Vorspeisen.

Kaffeeduft erfüllte das ganze Haus, zahlreiche Gäste machten ihre Aufwartung. Viele kamen zum ersten Mal seit Monaten zu Besuch, denn einige waren zerstritten und sahen erst an diesem Tag einen günstigen Anlass für gegenseitiges Verzeihen und Frieden gekommen. Es durfte nicht sein, dass dieser Tag mit Groll und Streitereien zwischen den Geschwistern vergeht. Es sollte der Tag der Familie im wahrsten Sinne des Wortes sein.

Der Abend sollte besonders schön werden, wo jeder mit jedem redete, man miteinander lachte, sich herzlich begrüßte und Kinder lärmend umher rannten. Die jungen Männer kümmerten sich um die Lautsprecher und der Suche nach der passenden Musik für den Abend. Alle zehn Sekunden erklang ein anderes Stück, was die Unentschlossenheit der Männer zeigte. Da an an dem Abend auch getanzt werden sollte, suchten sie auch dafür eine angemessene Musik.

So liefen in Syrien die Vorbereitungen für Silvester ab. Keiner fragte nach der Religion oder sonstigen Zugehörigkeiten.

Am Abend war dann alles fertig, das Essen stand an dem Tisch, die verschiedenen Getränke sahen einladend aus und die ganze Familien saß friedlich um den Tisch.

Die Feier begann mit dem Erheben der Gläser auf das alte Jahr, mit einigen Gebeten (jeder betete auf seine Weise) und dem anschließenden gemeinsamen Essen. Danach schlürften alle die köstlichen Getränke, lauschten der Musik und tanzten bis Mitternacht. Dann wurde auf das neue Jahr angestoßen, man umarmte sich, wünschte sich alles Beste für das neue Jahr und bestaunte das Feuerwerk. Der Himmel war ganz erhellt, und die Feiergesellschaft tanzte bis in die frühen Morgenstunden.

All dies war vor dem Krieg in Syrien. Seit Beginn des Krieges wird nicht mehr gefeiert. Es herrscht Krieg! Familientreffen sind nicht mehr möglich. Die Herzen sind verwundet. Es gibt keine Hoffnung mehr auf ein glückliches neues Jahr. Das Haus ist zerstört, die Familie ist in aller Welt zerstreut, viele sitzen in Gefängnissen, andere sind vermisst oder tot.

Die Syrer beweinen ihre zerstörten Städte auch im neuen Jahr weiter. Sie betrauern ihre Toten und räumen die Leichen von den Straßen. In den sozialen Medien hören sie die Hilferufe der verwundeten Kinder oder der Menschen, die ihre Eltern unter den Trümmern suchen, da sie zufällig nicht von den Bomben getroffen wurden, die in ihr Haus einschlugen, als sie gerade draussen spielten.

Hier im Exil demonstrieren die Syrer immer noch sinnlos auf den Straßen, die in weihnachtlichem Glanz erstrahlen. Hier wird die Geburt Jesus, des Propheten des Friedens, gefeiert. Die Syrer versuchen die Welt auf ihr Schicksal, auf das Leid der Menschen oder einfach auf den Krieg aufmerksam zu machen, in der Hoffnung, der Krieg möge beendet werden und Frieden im neuen Jahr über das Land kommen.

Aus dem Arabischen: Mustafa Al-Slaiman

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Kefah Ali Deeb
Kefah Ali Deeb wurde 1982 in Latakia, Syrien, geboren und ist 2014 nach Berlin geflohen. Sie ist bildende Künstlerin, Aktivistin und Kinderbuchautorin, außerdem Mitglied des National Coordination Committee for Democratic Change in Syrien.  

3 Kommentare

 / 
  • "Hier wird die Geburt Jesus, des Propheten des Friedens, gefeiert." Na ja. An Weihnachten wird von Christen die Menschwerdung Gottes und das Erscheinen des Heilands gefeiert. Auf den Begriff des Propheten wird Jesus vor allem von Muslimen, bei denen selbst der Religionsstifter Mohamed als Prophet des Friedens tituliert wird, reduziert. Und darum geht es eben nicht an Weihnachten.

    Um den Frieden auf Erden müssen sich die Menschen übrigens selbst kümmern.

  • Also, wenn jetzt die Rebellen am Abhauen sind und sogar die Christen wieder Gottesdienste feiern können, dann ist der Krieg doch so gut wie vorbei, oder ?

  • Hmm, wenn ich das so lese war ja alles in wunderbar in Syrien.

    Kann mir dann jetzt einer erklären wieso es unbedingt Krieg geben musste?