American Pie: Sisyphos trinkt Eierpunsch
FOOTBALL Trotz des heldenhaften Einsatzes von Lineman Joe Thomas sind die Cleveland Browns die Lachnummer der Liga
Es war ein typischer Sonntag für Joe Thomas. Wieder mal stürzte sich der Lineman der Cleveland Browns bei jedem Spielzug ins Getümmel, wieder war er der Fels in der Brandung, und wieder ging der Gegner als Sieger vom Feld. 13:33 verloren die Browns bei den Buffalo Bills, ein bedeutungsloses Spiel aus den Niederungen der NFL-Tabelle. Eine weitere Niederlage für die Browns in einer Saison zum Vergessen, aber an Thomas hatte es nicht gelegen. Wie auch bei den 13 sieglosen Spielen zuvor.
Von Titeln oder wenigstens Playoffs redet in Cleveland schon lange niemand mehr. Im Moment geht es nur noch darum, wenigstens noch einen einzigen Sieg einzufahren. „Es ist eine Herausforderung“, stöhnte Headcoach Hue Jackson bei der Pressekonferenz nach dem Spiel, „aber Spaß macht das keinen.“ Zwei Chancen hat seine Mannschaft noch, sonst würden sich die Browns die zweifelhafte Ehre sichern, die zweite Mannschaft in der NFL-Geschichte zu werden, die alle ihre 16 Saisonspiele verliert. Das Kunststück gelang bisher nur den Detroit Lions 2008.
Die Browns mögen die Lachnummer der Liga sein, ihr Trainer sagt: „Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns, aber von hier aus kann es nur nach oben gehen.“ Aber mit Joe Thomas hat jeder im Moment bloß Mitleid. Denn Thomas gilt nicht nur als untadeliger Sportsmann, er ist nicht nur sozial engagiert, wird von Mannschaftskollegen für seinen Humor und von den Gegnern für seine Fairness geschätzt. Als Lineman, dessen Aufgabe darin besteht, Löcher freizublocken für den Running Back und den eigenen Quarterback vor Angriffen der gegnerischen Verteidiger zu beschützen und ihm Zeit für seine Pässe zu verschaffen, ist der 32-Jährige während eines Footballspiels für die Drecksarbeit zuständig. Die erledigt er so verlässlich, dass er von den Experten regelmäßig zum besten auf seiner Position als linker Tackle gekürt wird.
1,98 Meter ist Thomas groß, er wiegt mehr als 140 Kilo, und pro Partie kracht er sechzig, siebzig Mal mit einem ähnlichen Koloss zusammen. Trotzdem – und das ist eine Sensation – hat der Familienvater in den zehn Jahren, die er nun in der NFL spielt, kein einziges Spiel verpasst, ja nicht mal einen einzigen der 9.786 Spielzüge der Offensivabteilung – ein einsamer Rekord. Er war nicht verletzt, und wenn er es war, hat er es sich nicht anmerken lassen. Stattdessen hat der Sisyphos der NFL bereits sechs Cheftrainer überlebt in diesen zehn Jahren und sage und schreibe 18 Quarterbacks, die den Karren in Cleveland aus dem Dreck ziehen sollten.
Die vielen Trainerwechsel haben nicht zum Erfolg geführt: So gut Thomas in diesen zehn Jahren gespielt hat, so schlecht war sein Team. Kein einziges Mal haben sie die Playoffs erreicht, in den letzten neun Jahren gab es stets mehr Niederlagen als Siege, nie durfte Thomas seine Künste auf der großen Bühne zeigen. Thomas hätte sich längst eine neue Mannschaft suchen können, er hätte Cleveland verlassen und anderswo einen besser dotierten Vertrag bei einem Meisterschaftsanwärter unterschreiben können. „Aber ich bin ein Clevelander“, sagt er. „Ich kann mir nicht vorstellen, einen Superbowl mit einem anderen Team zu gewinnen. Das wäre nicht befriedigend.“
Thomas’ Traum ist es, mit den Browns den Superbowl zu gewinnen. Allzu viel Zeit hat er dafür aber nicht mehr. Zwei, drei Jahre, glaubt er selbst, kann er noch auf diesem Niveau spielen. Längst ist er einer der wenigen älteren Profis in Cleveland, weil die Mannschaft mit jedem Trainerwechsel auf den Kopf gestellt wurde, weil mit jedem Coach ein neues Konzept kam und ging. Aktuell, so Thomas, fühle sich das bisweilen so an, als würde man mit Kindergartenkindern versuchen, eine Mathe-Olympiade zu gewinnen.
Seinen Humor hat Joe Thomas noch nicht verloren. Als er gefragt wurde, wie er umgehe mit der Niederlagenserie, antwortete der Hüne: „Mit größeren Mengen Eierpunsch.“
Thomas Winkler
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