Berlinmusik
: Leises, Pakete

In ferner Zeit, man schrieb die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, hatte die Avantgarde der Neuen, zeitgenössischen oder Gegenwartsmusik, mithin die klassische Musik ihrer Zeit, ein klares Bild davon, was sie in ihren Werken für die Gesellschaft erreichen wollte. Und sie organisierte sich in Schulen, die miteinander leidenschaftlich um die richtigen ästhetischen Strategien stritten. Heute, wo sich die Avantgarde als solche erledigt hat, streitet man eher um Fördermittel, ansonsten machen alle, was sie am meisten interessiert. „Personalstil“ ist das Wort dafür, dass es keine herrschenden Paradigmen mehr gibt, nach denen komponiert wird.

Der in Berlin (und anderswo) lehrende Komponist Walter Zimmermann hat sich nie groß um den Konsens der Avantgarde in Deutschland gekümmert, sondern orientierte sich lieber an Solitären der US-Moderne wie Morton Feldman oder John Cage. Seine eigene Klaviermusik, die auf der CD „Voces abandonadas“ versammelt ist, erinnert hier und da an diese frühen Vorbilder, teilt insbesondere mit Feldman die vereinzelten Ereignisse, bevorzugt stille, ruhige Gesten statt brachialer Dynamik, klingt dissonant, ohne die Schärfe als bewussten Kontrast zur Harmonie zu suchen.

Nicolas Hodges ist für diese zwischen 2001 und 2006 entstandenen Kompositionen ein idealer Interpret, mit sensibel kontrolliertem Anschlag, der die Nuancen in Zimmermanns zum Teil fast kindlich verspielten Stücken – „The Missing Nail at the River“ etwa ist für Klavier und Spielzeugklavier geschrieben – hellwach auslotet. Nebenbei ist sein Werk auf absolut unkitschige Weise besinnlich: „Cura“ aus dem mehrteiligen „Aimide“ schrieb Zimmermann nach den Anschlägen vom 11. September 2001, ohne jegliches Gedenkpathos, dafür nachdenklich und suchend. Von dieser idiosynkratischen Musik könnte es gern mehr geben.

Ein etwas anderes, dafür nicht minder eigenes Terrain bearbeitet die in Berlin lebende Australierin Melanie Velarde auf ihrem vermeintlich weihnachtlich betitelten Album „Parcel“. Hier mischt sie Umweltgeräusche, die als solche nicht zu identifizieren sind, mit gefundenen elektronischen Klängen, wie sie dazu sagt. Daraus fertigt sie scheinbar in sich geschlossene Loops, in denen sich an der Grundstruktur nur sehr wenig ändert, von denen jedoch eine seltsam beruhigende Wirkung ausgeht. Eine Gegenwart, an der man gern beteiligt ist.

Tim Caspar Boehme

Walter Zimmermann: „Voces abandonadas“ (Wergo)

Melanie Velarde: „Parcel“ (Commend)