Hineinschrauben in eine Blues-Stimme

Theater „Blue Moon“ im Renaissance Theater ist eine Kammerrevue über das Leben und Sterben von Billie Holiday, ausdrucksvoll vergegenwärtigt von der österreichischen Schauspielerin Sona MacDonald

Sona MacDonald in „Blue Moon“ Foto: Moritz Schell

von Esther Slevogt

Sie war so etwas wie die Ingeborg Bachmann des Blues, die amerikanische Jazzsängerin Billie Holiday. 1959 ist sie im Alter von 42 Jahren an den Folgen von übermäßigem Drogen- und Alkoholkonsum gestorben, womit sie die rassistischen Demütigungen zu betäuben versuchte, denen sie von Kind an ausgesetzt war. Und auch die destruktive Energie der Sklaverei-Geschichte der amerikanischen Schwarzen damit einzudämmen suchte, die sich nicht nur in Billie Holidays eigener Abstammung von einem weißen Plantagenbesitzer und seiner schwarzen Sklavin niederschlug.

Niemand interpretierte die berühmten Songs des „Great American Songbook“ von Cole Porter bis George Gershwin lasziver, emotionaler und dabei gleichzeitig mit so abgründigem Spott wie sie. Aktuelle Popgrößen wie US-Superstar Beyoncé, deren Lieder immer wieder auch politische Statements sind, stehen auf Billie Holidays Schultern.

Denn mit Billie Holiday wurde der Blues 1939 politisch: Sie war die erste, die einen Song über Lynchmorde an Schwarzen durch den rassistischen Geheimbund Ku-Klux-Klan sang: „Strange Fruit“, dessen Titel sich auf an Bäumen aufgehängte verbrannte Körper brutal ermordeter Schwarzer bezieht.

Und es ist schon ein Erlebnis der besonderen Art, wie sich jetzt die österreichische Schauspielerin Sona MacDonald emotional in die Lieder dieser Blues-Jahrhundertikone hereinschraubt: immer etwas heller und schräger als das Original, das sie gar nicht erst zu kopieren versucht, Billie Holiday aber gleichzeitig mit atemberaubender Präzision, Ausdruckskraft und Empathie zu vergegenwärtigen versteht, die durch den Abend trägt.

In Österreich, wo die Produktion vor einem Jahr im Wiener Theater in der Josefstadt zum 100. Geburtstag von Billie Holiday herausgekommen ist, wurde Sona MacDonald für ihre Darstellung gerade mit dem höchsten österreichischen Theaterpreis, dem Nestroy, ausgezeichnet. Jetzt hatte „Blue Moon“, wie diese dunkel-funkelnde Hommage von Herbert Schäfer und Torsten Fischer (der auch Regie führte) nach einem berühmten Song überschrieben ist, am Renaissance Theater ihre Berliner Premiere.

Ein Abend, der auf den ersten Blick kaum mehr ist als eine recht grob zusammengezimmerte Kammerrevue über Leben und Sterben eines großen Stars anhand von zwanzig seiner berühmtesten Songs. Dazwischen geben ein paar gesprochene Texte stationen- wie bruchstückhafte biografische Einblicke: Kindheit im Bordell, Vergewaltigung mit zehn, Gefängnis, wachsender Ruhm und Drogenkonsum, der alltägliche rassistische Dauerterror, wechselnde (Ehe-)Männer, die sie finanziell ausbeuten, körperlicher Verfall und am Ende der Tod. Für jedes Lied eine neue Robe, ein anderes Outfit, lange Handschuhe, Zigarette oder Whiskeyglas in der Hand.

Auf der Bühne sind auch vier fantastische Musiker: Harry Ermer am Flügel, Patrick Braun am Saxofon (manchmal auch Flöte oder Klarinette); am Kontrabass Hans-Dieter Lorenz und Stephan Genze am Schlagzeug – ein Theatersetting, das (vom schönen Art-Déco-Theater in der Charlottenburger Hardenbergstraße sehr stimmig gerahmt) eine Konzertatmosphäre in den berühmten New Yorker Clubs zitiert, in denen Billie Holiday zum Star aufstieg – damals in den 1930er und 40er Jahren. Sie selbst durfte diese Clubs nur durch den Dienstboteneingang betreten. Die Rassentrennung war in den USA noch allgegenwärtig. Man surft auf den Liedern durch den Abend, wird immer tiefer von der Geschichte und der Interpretation der berühmten Lieder durch Sona MacDonald angesaugt.

Billie Holiday war so etwas wie die Ingeborg Bachmann des Blues

Ein Wermutstropfen ist allerdings, dass die Macher nicht auf den Sog der Geschichte und das Können ihrer Protagonistin vertraut haben, sondern auch noch einmal trotzig auf die N-Wort-Debatte reagieren und das umstrittene Theatermittel „Blackfacing“ sinnstiftend einsetzen wollten. So fragt ganz zu Beginn der Sona MacDonald als Sidekick, Erzähler und Verkörperer diverser Liebhaber und Ausbeuter an die Seite gestellte Nikolaus Okonkwo ins Publikum, ob noch „Nigger“ im Raum seien, um dann etwas umständlich auszuführen, das verbotene Wörter gefährlicher sind als solche, deren rassistisch kontaminierte Bedeutung vom Gebrauch entschärft und am Ende nivelliert werde. Dann fordert er Sona MacDonald auf, sich das Gesicht dunkler zu schminken, damit man sie nicht für eine die Weiße halte. Und nach kurzem Zögern folgt die Schauspielerin dieser Aufforderung: „Her mit der Scheiße“, sagt sie und verteilt schwarze schuhcremartige Farbe auf ihr Gesicht.

Ja, denkt man, nach erstem peinlichen Berührtsein: Schon klar. Das ist gut gemeint. Als Verfremdungseffekt sozusagen. Wir weißen Zuschauer sollen nicht von der Show aufgesogen werden und dabei vergessen, dass Billie Holiday lebenslang als Schwarze diskriminiert worden ist. Hätten wir auch nicht, lieber Torsten Fischer. Hätten wir auch nicht. Der ganze Abend handelt ja davon. Aber dieses Theatermittel leider auch.

Weitere Vorstellungen im Renaissance Theater: 23. 12., 25.–31. 12.