Bei Podemos tobt der Kampf zweier Linien

Spanien Richtungsstreit der klassischen Art: Lieber ein linkes Bündnis mit den altbackenen Kommunisten oder ein breites Bündnis der sozial und politisch Empörten mit offenem Visier. Darüber entscheiden die 400.000 Online-Mitglieder der jungen Bewegung

Pablo Iglesias ist noch der unangefochtene Chef, aber sein politischer Stern sinkt Foto: Chema Moya/dpa

Aus Madrid Reiner Wandler

Es ist vorbei mit der Einheit bei Podemos. Die 2014 zu den Europawahlen gegründete Partei, die mit 71 Abgeordneten drittstärkste Partei im spanischen Parlament ist, bereitet ihre zweite „Bürgerversammlung“ – den Parteitag – vor. Stattfinden wird er im Februar 2017. Die beiden wichtigsten Strömungen, die um Generalsekretär Pablo Iglesias und die um Politiksekretär Iñigo Errejón, streiten über alles. Weder bei der künftigen Parteistrategie noch bei wichtigen Verfahrensfragen sind sie sich einig. Von Sonntag bis zum morgigen Dienstag werden die auf der Podemos-Web eingeschrieben 400.000 „Mitglieder“ erstmals entscheiden, mit wem sie eher übereinstimmen. Es geht um die Frage, wie der künftige Parteivorstand – der Staatliche Bürgerrat – gewählt wird. Weitere Abstimmungen sind geplant.

Zwei Verfahren stehen zur Wahl. Das eine, propagiert von Iglesias, sieht einen Bonus an Vorstandsvertreter für die stärkste Liste vor. Das andere Verfahren ist rein proportional und bietet damit mehr Garantien für Minderheiten.

Doch damit nicht genug: „Wir wollen Inhalte getrennt von den Personen diskutieren“, erklärt Errejón. Vor zwei Jahren, beim offiziellen Gründungsparteitag in der Madrider Stierkampfarena Vista Alegre war das so. Jetzt wollen Iglesias und die Seinen Programmatisches und Personelles verknüpfen. Iglesias nutzt seine Beliebtheit. Bisher erwägt niemand ernsthaft, gegen den Generalsekretär zu kandidieren, auch Errejón nicht. Errejón sieht die Partei als Erbe der Empörtenbewegung 15M, die 2011 überall im Lande Plätze besetzte. Diese Bewegung verstand sich „weder als links noch als rechts“. Es ging um soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie, weniger Korruption. Errejón hält am bisherigen „transversalen“ Diskurs von Podemos fest und spricht von „einer neuen soziale Mehrheit“ mit „all denjenigen, die noch nicht den Weg zu uns gefunden haben“.

Iglesias hingegen setzt auf ein breites Linksbündnis. Viele sehen diese Strategie als gescheitert. Denn bereits bei den Wahlen im Juni traten Podemos und die postkommunistische Vereinigte Linke (IU) gemeinsam als Unidos Podemos an, um so die sozialistische PSOE zu über­holen und zur stärksten Kraft links von der regierenden konservativen Partido Popular (PP) zu werden. „Sorpasso“ tauften sie diese Operation. Über 5 Millionen Wähler hatten bei den Wahlen im Dezember 2015 für Podemos gestimmt, eine Million für IU. Doch anstatt der erwarteten 6 Millionen blieb es bei 5 Millionen. Eine Million WählerInnen waren zu Hause geblieben. So mancher Wähler von ­Podemos wollte keine Kommunisten wählen und vielen Kommunisten war Podemos zu gemäßigt.

„Podemos steht vor einer historischen Entscheidung“

Professoren G. Cano und M. Alvárez

Iglesias Idee, die beiden Parteien nach und nach zusammenzuführen, stößt an der Basis auf Widerstand. Selbst aus dem engsten Umfeld des Generalsekretärs kommt Kritik. Ein Großteil der Podemos-Gründer stellen sich im Vorfeld des zweiten Parteitages hinter die Thesen von Errejón. Iglesias reagiert mit Entlassungen von Beratern und Mitarbeitern aus dem Umfeld der Empörtenbewegung und umgibt sich zusehends mit ehemaligen Mitgliedern der kommunistischen Jugend.

„Podemos steht vor einer historischen Entscheidung“, warnen die Universitätsprofessoren Germán Cano und Miguel Alvárez, die einst zum engen Umfeld von Iglesias gehörten und jetzt zu seinen Kritikern übergewechselt sind. „Entweder baut die Partei ihrer soziale Basis aus, dank der Wählerschaft, die sich von der PSOE im Stich gelassen fühlt, oder Podemos führt die ‚echte‘ Linke zusammen, konstruiert eine Strömung ‚links der PSOE‘, und lässt so Raum, der es den Sozialisten erlaubt, sich zu erholen.“

Denn die Sozialisten stecken in einer tiefen Krise. Nach den Wahlen vom Juni zögerten sie, anstatt mit Unidos Podemos eine neue Regierungsmehrheit zu suchen, um die Sparpolitik zu beenden. Stattdessen verschafften sie dem konservativen Premier Mariano Rajoy mit Stimmenthaltung im Oktober eine weitere Amtszeit. Umfragen zeigen, dass viele Wähler der PSOE dies nicht verzeihen. Die Sozialisten brechen ein, doch Podemos profitiert bisher kaum davon.