Auf dem Schiffssimulator: Wo der Senator in den Kai kachelt
Wenn sich zwei große Schiffe auf der Unterelbe begegnen, kann es ganz schön eng werden. Wie sehr, lässt sich im Hamburger Schiffssimulator zeigen.
Lodemann steuert den Giganten, der mehr als 10.000 Standdardcontainer (TEU) laden kann, auf einer nachgebauten Schiffsbrücke im Schiffssimulator in Hamburg-Stellingen. Auf einer zweiten Brücke im Nebenraum fährt sein Kollege Erik Dalege den Bulker, einen Massengutfrachter. „Den nehmen wir, weil er nicht so gut zu manövrieren ist“, sagte Dalege zu Beginn der halbstündigen Präsentation, „das macht die Sache komplizierter und für Sie hoffentlich spektakulärer.“
Sieht ganz schön eng aus
Stimmt. Mit 60, 70 Metern Abstand quetschen sich die beiden Schiffe, jedes länger als 300 Meter und zusammen 103 Meter breit, vor der Schiffsbegrüßungsanlage Willkommhöft in Schulau aneinander vorbei. Sieht ganz schön eng aus – auf der im Zuge der Elbvertiefung bereits verbreiterten Fahrrinne, die hier simuliert wird. Sonst wäre es noch enger, sagt Lodemann, „da könnten wir Lotsen uns von Bord zu Bord die Hand schütteln“.
Die Notwendigkeit der Elbvertiefung soll hier im Marine Training Center (MTC) den Journalisten vermittelt werden. Denn ab diesem Montag verhandelt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig drei Tage lang in letzter Instanz über die Klagen von Umweltverbänden gegen die Baggerpläne. „Wir hoffen auf einen positiven Ausgang“, sagt Staatsrat Rolf Bösinger von der Hamburger Wirtschaftsbehörde. Diese hat zur Einstimmung die Medien in das Schulungszentrum für Nautiker und Lotsen in einem schmucklosen Gewerbebau im Industriegebiet hinter dem Volksparkstadion des HSV eingeladen.
„Wir präsentieren Ihnen eine Begegnung zweier großer Schiffe, wie sie in den Planungsunterlagen beschrieben ist“, sagt Jörg Pollmann, als Hamburger Hafenkapitän der Chef über 7.200 Hektar Hafen. Nichts passiert hier ohne Pollmanns Wissen und Erlaubnis. Den Verkehr steuert er aus seinem Büro in der Hafencity.
Etwa zehn Meter breit ist die Brücke im ovalen Simulatorraum, voller Monitore, Radarschirme und Digitalanzeigen. Vor dem Schiff und an den Seiten zieht das Panorama der Elbe mit 9,3 Knoten vorbei, rund 17 Stundenkilometern. Dieses Tempo hat Lodemann bestimmt. An Steuerbord, also rechts, die Insel Hanskalbsand, backbord die Haseldorfer Marsch, dahinter Wedel, weit voraus das Kohlekraftwerk und der entgegenkommende Frachter.
„Wir können hier gut trainieren“ sagt Lodemann, ein Teil der Lotsenausbildung geschieht hier im MTC. Runde 3.000 Euro koste ein Tag, sagt dessen Geschäftsführer Heinz Kuhlmann. Gut angelegtes Geld sei das, findet Lodemann. „Wir üben hier auch Notfälle, das zahlt sich aus wie bei der Indian Ocean.“
Im Februar war der 400 Meter lange Containerriese wegen eines Defekts an der Steueranlage vom Lotsen kontrolliert am Rand der Fahrrinne vor Stade in den Schlick manövriert worden. So kam niemand und nichts zu Schaden. Nach fünf Tagen konnte das Schiff unbeschädigt frei geschleppt werden. Die nautische Glanzleistung des Lotsen bewahrte die Unterelbe vor einer ökologischen Katastrophe.
Das war Wirtschaftssenator Frank Horch vor drei Jahren nicht gelungen. Bei einem ersten Medientermin im MTC hatte der erfahrene Segler selbst das Steuer in die Hand genommen – und einen Containerfrachter unter dem lauten Jubel der Pressemeute direkt über dem Elbtunnel breitseits an den Containerterminal Burchardkai gekachelt.
In der Realität wäre das ein Unfall der extremen Art gewesen. Ähnlich aufsehenerregende Aktionen werden heute allerdings nicht geboten. Lodemann und Dalege, die beiden Lotsen, beherrschen ihr Handwerk sauber und steuern ihre Schiffe anscheinend mühelos aneinder vorbei.
Und das trotz der gewaltigen Kräfte, die sie in der Realität auf dem Fluss beherrschen müssen. Beide Schiffe, die sich hier im Simulator begegnen, verdrängen jeweils etwa 100.000 Tonnen Wasser. Wenn diese Massen kurz vor der Begegnung aufeinandertreffen, entstehen starke Sog- und Druckkräfte. Die Schiffe ziehen sich an und stoßen sich wieder ab, das muss der Lotse berücksichtigen. „Wir müssen einen Drehmoment reinbringen, der das Abstoßen der beiden Schiffe auffängt und sie letztlich geradeaus fahren lässt“, sagt Lodemann nüchtern
Wenn das nicht gelänge, käme es zum ganz großen Unfall: Die beiden Riesen würden mit ihren Hecks quer aufeinander prallen und in die Böschung fahren, einer am linken Ufer, der andere am rechten. Der Hamburger Hafen wäre über Tage blockiert, zusätzlich zu den Schäden für Menschen und Umwelt.
Und die Morphologie des Flussbettes tut ihr Übriges: Flache Ufer stoßen Schiffe ab, von Steilufern werden sie angesaugt. „Wir Lotsen wissen aus unseren Karten und von den 16 Peilstellen, wie es unter Wasser aussieht. Das müssen wir berücksichtigen“, sagt Lodemann: „Wir müssen vorausschauend fahren – mit 300 Meter Stahl und einem ziemlich behäbigen Heckantrieb.“
Die Vertiefung der Unterelbe zwischen Hamburg und der Nordsee um einen Meter gilt in der Hansestadt als Schicksalsfrage. Schiffe mit einem Tiefgang von 13,5 Metern sollen unabhängig von Ebbe und Flut den Hafen anlaufen oder verlassen können. Tideabhängig, also mit auflaufendem Wasser, sollen Schiffe mit einem Tiefgang bis zu 14,5 Metern verkehren können. Eine Solltiefe von bis zu 19 Metern ist erforderlich, damit die großen Pötte bei Wellengang nicht auf dem Boden aufsetzen.
Es wäre die neunte Elbvertiefung in den vergangenen 200 Jahren: Zwischen 1818 und 1825 war der einst flache Unterlauf auf 5,4 Meter unter Normalnull ausgebaggert worden, um die größer werdenden Schiffe der damaligen Zeit bewältigen zu können. Die aktuell größten Containerfrachter haben eine Tiefgang von 16 Metern – auch nach der Ausbaggerung könnten sie Hamburg nicht voll beladen anlaufen.
Die Vertiefung um einen Meter sei okay, sagt Hafenkapitän Jörg Pollmann, obwohl zwei Meter besser wären: „Aber wir wollen den Eingriff in die Umwelt natürlich so gering wie möglich halten“, beteuert er. Der Fluss, das ist das Problem, ist von Natur aus für die Riesenfrachter von heute und morgen einfach nicht geeignet. Deshalb soll er eben geeignet gemacht werden: tiefer und breiter.
Ein wichtiges Element ist die Begegnungsbox vor Wedel. Auf sieben Kilometern Länge soll hier die Fahrrinne zwischen dem schleswig-holsteinischen Ufer und den Inseln Neßsand und Hanskalbsand von 300 auf 385 Meter verbreitert werden, damit Großschiffe aneinander vorbeikommen können. „Wir weiten den Flaschenhals aus“, sagt Lodemann. Im Hafen ist die Fahrrinne nur etwa 250 Meter breit, zwischen Glückstadt und Cuxhaven ausreichende 400 Meter, nur an der Tiefe mangelt es. Um die 40 Millionen Kubikmeter Schlick werden es sein, die aus dem Fluss gebuddelt werden, wenn denn das Bundesverwaltungsgericht grünes Licht gibt. Wenn.
Lodemann sieht das ganze Thema betont nüchtern. „Wir brauchen die Elbvertiefung“, stellt der Hamburger Cheflotse klar. Dann könnten alle auch künftig zu erwartenden Verkehre abgewickelt werden, glaubt er: „Viel größer werden die Schiffe ja nicht mehr werden.“ Für ihn ist auch klar, wer die Verantwortung für das alles trägt: „Die Kunden in Deutschland bestimmen, welche Schiffe kommen.“ Wenn niemand mehr Billigklamotten oder High-Tech aus Fernost kaufen würde, käme auch die Ladung nicht mehr nach Hamburg.
Der Sicherheit verpflichtet
Welche ökonomischen Folgen das haben könnte, ist für den Lotsen zunächst zweitrangig. „Tempo und Effizienz müssen mir egal sein“, sagt Lodemann: „Wir Lotsen sind nicht der Wirtschaftlichkeit verpflichtet, sondern der Sicherheit.“ Und die wäre mit einer tieferen und breiteren Fahrrinne eben höher.
Die Botschaft ist angekommen, und dazu war diese Präsentation ja auch gedacht. Die entscheidenden Fragen indes wird das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden haben. Die Abwägung zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Arbeitsplätzen und Artenschutz, zwischen Wachstum und Wasserqualität wird es vorzunehmen haben. Mit vollkommen ungewissem Ausgang. Denn vor Gericht und auf hoher See, dieses Schicksal teilen Umweltschützer und Wirtschaftsbosse, sind sie beide bekanntlich in Gottes Hand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
starke gefühle
Testosteron und PS
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Wahlkampfchancen der Grünen
Da geht noch was
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“