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„Ich habe das im Blut“

Edler schenken Der Hamburger Thomas Keil ist einer der Wenigen, die noch traditionelle, rahmengenähte Maßschuhe herstellen – gefertigt mit Handwerkszeug, das es sonst nur noch im Museum gibt

Nimmt Maß: Schuhmacher Thomas Keil Fotos: Miguel Ferraz

Von Hannes Vater

„Super Frise. Super Outfit. Super Schuhe. Superkeil!“ Thomas Keils Schuhmacher-Version der Edeka-Werbespots wurde seit 2014 über 12.000 Mal auf Youtube angeklickt. Überhaupt ist der Maßschuhmacher aus der Hamburger Keplerstraße 20 online sehr gut aufgestellt. Wenn man seine 40 Quadratmeter Ladenfläche in Ottensen betritt, fühlt man sich dagegen an den Anfang des letzten Jahrhunderts zurückversetzt. Das ist in etwa die Zeit, der viele seiner Werkzeuge entstammen. Manche waren Geschenke eines Museums. Keil ist einer der wenigen Meister in Deutschland, der noch traditionelles, rahmengenähtes Schuhhandwerk anbietet.

„Thomas Keil – Shoes Handmade in Germany“ steht über seiner Tür. Im Schaufenster sieht man neben Regalen voller Schuhe auch Taschen aus Leder und weihnachtlich geschmückte Pflanzen, Blumen und eine gemütliche Beleuchtung. Im Laden duftet es nach altem Holz und frischem Leder. Neben der Werkbank von 1900 sitzen Keil und seine 24-jährige Auszubildende Moira auf Holzhockern und arbeiten an neuem Schuhwerk und Lederstücken, die mal welches werden sollen.

Beide sind traditionell gekleidet. Keil trägt ein weißes Hemd unter einer braunen Cordweste, eine dunkle Stoffhose, Schnurrbart und einen akkuraten Seitenscheitel. An den Füßen hat er selbstgemachte Oxford Captoes. „Es gibt noch zwei Hände voll Betriebe, die in Deutschland Schuhe per Hand anfertigen“, sagt Keil. Von einem ungarischen Meister ausgebildet, ist der 41-Jährige nach dreijähriger Werkstatt-Odyssee 2010 in Hamburg-Ottensen gelandet. Und er liebt seinen Laden.

An der Ecke Keplerstraße und große Brunnenstraße ist immer was los. Durch Schaufenster und Eingangstür kann man alle vier Abzweigungen der Kreuzung beobachten. Schon nach kurzem Aufenthalt fühlt man sich mit dem Herzen Ottensens und seinen Bewohnern vertraut. Viele Leute rollen mit Fahrrad oder Kinderwagen vorbei, manchmal bleiben sie kurz stehen und lassen ihre Blicke durchs Schaufenster wandern. „Hier ist immer was los“, sagt Keil.

Wenn er morgens mit dem Fahrrad von seiner Wohnung auf St. Pauli zum Laden fährt, legt er sich einen Plan für den Tag zurecht. Da viele Arbeitsschritte fast einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, bleibt das meist überschaubar. Rund 40 Stunden, 300 Arbeitsschritte und drei Monate braucht er für eine Maßanfertigung. Die Kundenfüße werden vermessen, dann Leisten produziert – hölzerne Nachbildungen des Fußes. Dabei werden auch orthopädische Gesichtspunkte wie die Fußbewegung im Gang beachtet.

Dass bei Keil Hunderte nachgebaute Füße im Laden stehen, hat viele Vorteile. Seine Kunden müssen kein zweites Mal in den Laden kommen, wenn sie nochmals neue Schuhe haben möchten. „Der Fuß ist hier vor Ort“, sagt Keil. Dann reicht es, Modell, Farbe und Material zu benennen. Man könne übers Internet ein Foto des Schuhs schicken, der einem gefalle, und schon beginne die Arbeit.

Kundenkontakt ist ihm dennoch wichtig. „Man verfällt hier nicht in Routine, sondern lernt jedes Mal unterschiedliche Menschen kennen“, sagt Keil. „Das ist jedes Mal eine neue Herausforderung.“ Individuelle Damen und Herren, die sich nicht stereotypisieren lassen und keine Lust auf massenproduziertes Schuhwerk haben, kommen zu ihm. „Die wollen Einfluss haben auf das, was sie bekommen.“ Die Maßschuhanfertigung ist für seine Kunden etwas Besonderes. Ein Happening.

Keil ist jemand, der gern erklärt. „Ich versuche immer herauszufinden, was zu dem Kunden passt“, sagt er. An klassischen Modellen gibt es drei Grundtypen: Derby, Oxford und Wholecut. Das jeweilige Design könne durch Vorderklappen, Lochmuster und Applikationen bis ins Detail individualisiert werden. Bei den Farbkombinationen gebe es keine Grenzen.

Die Kosten für eine Maßanfertigung liegen, je nach Ausführung, zwischen 1.800 und 2.500 Euro. Günstiger wird es bei den Maßkonfektionen. Ab 480 Euro können Kunden aus bestehenden Leisten wählen, und sich anhand eines Baukastensystems Leder, Farbe, und Sohle zusammenstellen. In 90 Prozent der Fälle wird dabei Kalbsleder verarbeitet. Manche Kunden haben auch speziellere Wünsche wie Pferdeleder. Dabei macht sich Keil mehr Gedanken über nachhaltige Produktion als größere Schuhfabrikanten. Er achtet akribisch auf die Herstellungsbedingungen des aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien, manchmal aus den USA oder Argentinien stammenden Leders. Seine Leder werden unter menschenwürdigen Umständen hergestellt, sind hautfreundlich und mit Zertifikaten versehen, die Aufschluss über Herkunft und Produktionsbedingungen geben.

Das Hantieren mit Schuhen und Leder liegt in Keils Familie. Sein Urgroßvater war Schuhmacher, seine Oma absolvierte eine Lehre in einer Lederwerkstatt. Davon wusste er aber lange nichts. Das Handwerk habe er später selbst entdeckt. „Ich habe das eher im Blut, als dass ich beeinflusst worden wäre“, sagt er. Könnte er sich die kleinteilige Handarbeit heutzutage nicht etwas leichter machen? „Könnte ich schon“, sagt er. „Will ich aber nicht. Die traditionelle Umsetzung der Arbeitsschritte macht schließlich den Beruf aus.“

Keil führt den Besucher die Treppe hinunter, um die übrigen Räume zu zeigen. Unten stehen Kisten voller Leisten, eine Leistenpresse, eine Ledermangel von 1889 und ein Tiefziehgerät, mit dem ein durchsichtiger Probeschuh für die Voranprobe erstellt wird.

Wenn Keil über Herkunft und Funktion seiner Arbeitsgeräte spricht, wird klar, was Maßschuhmacher früher geleistet haben – und hier noch heute leisten. Dabei geht es mehr um das exakte Einhalten von Qualitätsstandards als um die Jagd auf wechselnde Trends.

Bezüglich der Zukunft seines Ladens hat er klare Vorstellungen. Das Geschäft soll weiterhin langsam und gesund wachsen. Moira, seine erste Auszubildende, ist im dritten Lehrjahr. Keil selbst will möglichst lange eigenhändig am Schuh arbeiten. Und den seltenen Berufszweig fördern, seine Kenntnisse über das Handwerk weitergeben. „Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten“, zitiert Keil den chinesischen Philosophen Konfuzius. Im Schaufenster hängen kleine nummerierte Tüten und Päckchen. Ein Weihnachtskalender für alle Besucher, die rechtzeitig reinschauen. Natürlich selbstgemacht.

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