„Charlie Hebdo“ in Deutschland: „Querköpfig auf die Welt gucken“
Die erste deutsche „Charlie Hebdo“ liegt in den Kiosken. Was das Magazin in Deutschland zu suchen hat – und warum sich die Redaktion keine Grenzen setzt.
taz: Frau Schneider, seit Donnerstag liegt die erste Ausgabe der deutschen Charlie Hebdo in den Kiosken. Wie kam es zu der Idee?
Minka Schneider: Nach dem Anschlag haben wir aus dem Ausland unfassbare Solidarität erfahren, vor allem aus Deutschland. Die Zeichner wurden zu Veranstaltungen eingeladen, ihnen wurden Künstlerresidenzen angeboten, es gab eine Mahnwache in Berlin. Die Ausgabe der Überlebenden eine Woche danach wurde in Deutschland 70.000 mal verkauft. So kam natürlich die Überlegung auf: Haben die Deutschen vielleicht den ähnlichen Humor – oder den Bedarf danach..
Achten Sie bei der deutschen Zielgruppe auf Tabus oder Grenzen?
Wir machen uns keine Platte, ob etwas politisch korrekt ist oder nicht. Auch nicht für die deutsche Ausgabe. Da gibt es keine Grenzen.
Es kommt immer wieder zu Kritik, zuletzt vor dem Hintergrund der Karikaturen der Erdbeben-Opfer in Italien und der Karikatur des toten Flüchtlingsjungen Aylan. Wie positionieren Sie sich?
Schwarzer Humor bleibt einem immer im Hals stecken. Das muss irgendwas mit einem machen. Das Furchtbare ist ja nicht die Zeichnung, sondern das, was der Zeichnung zu Grunde liegt.
Die Frau: Minka Schneider, 33 Jahre, ist Chefedakteurin der deutschen Ausgabe des Satire-Wochenblatts Charlie Hebdo.
Die Zeitung: Nach dem Anschlag auf die Redaktion im Januar 2015, bei der 11 Menschen ums Leben kamen, war die Solidarität in Deutschland groß: Die Folgeausgabe des Blattes verkaufte sich dort 70.000 mal. Die provokanten Karikaturen von Charlie Hebdo sorgen regelmäßig für Debatten über die Grenzen von Satire.
Was erhoffen Sie sich von der deutschen Ausgabe?
Man muss wissen, Charlie bringt in Frankreich nicht alle Leute zum Lachen. Im Gegenteil, Charlie war früher eher ein Außenseiterblatt. Das haben einige schräge Vögel gelesen und nicht jeder hat es verstanden oder gut gefunden. Uns ist nicht daran gelegen ein Massenphänomen zu provozieren – oder dass alle uns lustig finden müssen. Aber es gab immer Leute, die sich in dem Blatt wiedergefunden haben, die querköpfig auf die Welt gucken und sich so in Charlie wiederfinden. Ich bin gespannt, ob es die in Deutschland auch gibt.
Wie viel Vorlauf hat es für die erste Ausgabe gebraucht?
Anfang des Jahres war die Idee geboren. Dann gab es zwei redaktionsinterne Testnummern. Wir haben unter realen Redaktionsbedingungen gearbeitet. Zwischen dem französischen und dem deutschen Redaktionsschluss liegt nur ein Tag. Ein Tag, um alles zu übersetzen und das gesamte Layout anzupassen.
Welche Herausforderungen stellen sich bei der praktischen Umsetzung?
Wir untertiteln nicht einfach die französischen Comics und Bildgeschichten, sondern entfernen den französischen Text und setzen den deutschen ein. Das macht der Layouter, ein absolutes Genie. Teilweise arbeitet er die Sachen mit Tusche sogar nach. Die Zeichner arbeiten nämlich nicht mit einem Graphic Pad, sondern mit Schere und Pinsel.
Wie grenzt sich Charlie Hebdo von Magazinen wie Titanic und Eulenspiegel ab?
Unser Ansatz ist: Auf Deutschland schauen, aber mit einer französischen Brille. Das macht den Unterschied: Wenn man von außen drauf guckt, sieht man Sachen, die man von innen gar nicht mehr wahrnimmt.
Ist dennoch eine Zusammenarbeit mit deutschen Textern und Karikaturisten geplant?
Ja, ich bin schon dabei bei der Titanic abzuwerben (lacht). Nein, das nicht, aber wir sind schon in Kontakt mit den Leuten. Wir suchen vor allem Pressezeichner, die Reportagen machen, also vor Ort und mitzeichnen. Als die Flüchtlinge aus dem aufgelösten Camp in Calais an einer Metro-Station in Paris ankamen, war ein Zeichner fünf Tage in Folge dort und hat gezeichnet. Dieses Genre, gibt es in Deutschland fast nicht mehr.
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