Die richtige Wahl

Kunst II Sie hat den Zopf als Waffe entdeckt und aggressive Chemie als Malmittel. Cornelia Schleime wird mit dem Hannah-Höch-Preis und einer Retrospektive in der Berlinischen Galerie geehrt

Verletzt, aber schön. Cornelia Schleime, „Meine Hand ist deine Bewegung“, aus dem Jahr 2007 Foto: Cornelia Schleime, Repro: Bernd Borchardt

Cornelia Schleime nahm die große Ehre salopp. Natürlich war sie angetan, den Hannah-Höch-Preis für ihr Lebenswerk zu erhalten und eine Retrospektive, „Ein Wimpernschlag“, in der Berlinischen Galerie. Sie dankte bei der Eröffnung am 24. November vielen, die ihr den Weg ebneten. Als sie dann im Alltagspraktischen ankam, bat sie bei Sohn Moritz um Entschuldigung, die Farbtöpfe zu sehr den Kochtöpfen vorgezogen zu haben.

Nun, ihre Wahl war richtig, nicht nur weil Moritz Schleime inzwischen ein Maler von eigenem Rang ist. Wie richtig es war, sich nicht zu sehr mit den Kochtöpfen abzugeben, wird deutlich bei ihrer bildkünstlerischen Auseinandersetzung mit den Spitzelberichten aus ihrer Stasi-Akte. Denn was sich aus den Berichten der IMs Müller & Menzer (Aliasse von Sascha Anderson), Martha Heine oder auch eines fest­angestellten MfS-Leutnants entnehmen ließ, zeigt vor allem den Zorn, den Hass und das mangelnde Verständnis darüber, dass sich hier eine Frau jenseits der sozialen und politischen Konventionen entwickeln wollte. Höhnisch wird Schleimes „Selbstisolation“ im Wohnhaus kommentiert, neidisch auf beruflichen Erfolg hingewiesen. Frauen gehören in geordnete Produktions- und Reproduktionsverhältnisse – so der Tenor der Stasiakten.

Schleime kontrastierte dies mit eigenen Fotoinszenierungen. Zigarette rauchend sieht man sie da im Bett, das kleine Schwarze an und die Telefontastatur mit den Zehen bespielend. Prägnanter malte kaum jemand den kleingeistigen Vorstellungsraum der haupt- wie nebenamtlichen Spitzel aus.

Die Werkgruppe „Bis auf weitere gute Zusammenarbeit“ aus dem Jahr 1993 gehört schon in die fünfte Schaffensphase der Künstlerin. Zuvor gab es Mal- und Ausstellungstätigkeit in der DDR, dann den durchs Ausstellungsverbot provozierten Ausflug in Performance- und Filmkunst sowie die Tätigkeit in der Band Zwitschermaschine. Schließlich kehrte sie zur Leinwand zurück, nachdem sie 1984 ausgereist war aus der DDR. Einer längeren Phase des Suchens in den 90er Jahren, verbunden mit ausgedehnter Reisetätigkeit, folgte schließlich die Entscheidung für die großen Leinwände.

Auf denen finden sich, in gereifter und modifizierter Form, Motive wie Techniken früherer Phasen wieder. Der Zopf etwa, jenes Bändigungssymbol (nicht nur) weiblicher Haarpracht, das aber auch, ist es nur lang und stark genug, zur Würgewaffe werden kann, zum Tentakel, zur lockenden wie drohenden Schlange. Prominent setzte Schleime den Zopf im Kontext von „Bis auf weitere gute Zusammenarbeit“ ein, als sie mit seiner Hilfe einen Kinderwagen vor dem Haus eines ehemaligen MfS-Offiziers hinter sich herzieht und so das Vergangene, das einst die Kindheit war, als Last für die Gegenwart herausstellt. In „Leise spricht die Zunge“, einem 2013 fertiggestellten 2 mal 3,6 Meter messenden Gemälde, umkreisen zwei Schlangen gleiche Zöpfe den Kopf einer schlafenden Frau.

Blasen, Risse, Farbverläufe

Bondage-Performances der 80er Jahre finden ihr Echo in der Acrylarbeit „Liz II“ (1997), auf der ein mit Binden umhüllter Frauenkopf von einem halbtransparenten Ornament verdeckt ist.

An Schleimes Fotoübermalungen der 80er Jahre, aber auch an die räudige Auflösung der Super-8-Filme erinnern die aktuellen Experimente mit Schellack, Asphaltlack und Lösungsmittel. Die Malerin lässt über Nacht die Chemikalien ihre kalkulierte, aber im Detail nicht vorhersehbare Arbeit tun. Es bilden sich Blasen, Risse, neue Farbverläufe. Die Gesichter der Figuren sind verätzt – und bei aller Verletzung doch weiter strahlend schön, durchs Ätzen und Verletzen gerade geadelt.

Dabei taucht die Malerin immer wieder in ihren ureigenen Fantasieraum ein, ruft jenen Zustand kurz vor dem Aufwachen herbei, bei dem die Sinne scharf gestellt sind, aber noch nicht kontrolliert werden. Das kann man in den Dokumentationen der Performances erkennen, die im Videoraum bis Anfang Januar zu sehen sein werden, in den Aquarellen der letzten zwei Jahrzehnte mit Mischwesen aus Mensch, Zopf und Tier, und besonders in den großen Leinwänden der letzten Dekade.

Cornelia Schleime wandelte sich in ihren Ausdruckmitteln. Sie blieb sich selbst aber im Hingeben an den Moment purer Poesie treu. Ein Werk quer zum Markt, quer zu kuratorisch-politischen Großlinien – ein Werk, das für sich selbst spricht.

Tom Mustroph

Bis 24. 4. 2017