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Gutes Ohr für den windschiefen Sound

Plattenlabel Für exaltierten, manchmal schrägen, manchmal einfach schönen Pop mit besonderer Note wurde Tomlab eine weltweit bekannte Marke. In Berlin beginnt ein neues Kapitel für die kleine Plattenfirma

Manchmal aus der Zeit gefallen: die Plattencover von Advanced Base, Hearts Hearts und O. D. Davey von Tomlab

von Andreas Hartmann

Vor gut zwei Jahren ist Tom Steinle samt seinem Label Tomlab von Köln nach Berlin gezogen und kaum jemand hat es mitbekommen. Die große Ich-bin-jetzt-auch-in-Berlin-Party musste erstmal ausfallen, denn das Label befand sich zu dem Zeitpunkt des Umzugs in den Nachwehen einer größeren Krise. Sein Besitzer wollte sich an neuer Wirkungsstätte erst einmal neu orientieren.

In den nuller Jahren war Tomlab eines der führenden deutschen Indielabels und weltweit erfolgreich. Wer Radiohead gut fand, vor allem in ihrer elektronischen und experimentellen Phase, konnte bei Platten aus dem Hause Tomlab eigentlich blind zugreifen. Doch dann ging einiges schief. 2008 war das Jahr der großen Finanzkrise, wo weltweit viel Geld verbrannt wurde. Tomlab war als Mini-Plattenfirma auf dem internationalen Markt davon betroffen. Steinle hatte Gelder auf isländischen Konten und die waren dann eben weg. Musiker, die das Label mit aufgebaut und teilweise sogar groß gemacht hat, international angesagte Acts wie Final Fantasy zogen weiter, zu größeren Plattenfirmen.

Diese Erfolgsgeschichte kann Tom Steinle niemand nehmen

Viele kleine Musiklabel sind in dieser Zeit verschwunden, Steinle aber beschloss, weiter zu machen. Nicht mehr full-time und mit ein paar festen Mitarbeitern, so wie in den besten Kölner Jahren, sondern nur noch einen Tag die Woche. Hauptberuflich macht er nun etwas ganz anderes. Man kann also sagen, Tomlab ist wieder dort angekommen, wo es angefangen hat. Nur an einem anderen Ort.

Vor beinahe 20 Jahren wurde das Label als Nebenbei-Sache gegründet und von Steinles Wohnzimmer aus betrieben. Anfangs ging es Steinle vor allem um feingliedrige Elektronik wie die des Kölner Jörg Follert, die er auf seinem Label veröffentlichte. Auch ein paar seiner eigenen Produktionen brachte er selber heraus. Schon bald wurde die kleine Plattenfirma musikalisch immer offener und entwickelte sich zu einer Plattform für die spacigen Gitarrendrones des Portugiesen Rafael Toral genauso wie für den idiosynkratischen Pop der Kölnerin Niobe.

Für exaltierten, manchmal schrägen, manchmal auch einfach nur schönen Pop mit der besonderen Note wurde Tomlab eine weit über den Tellerrand Kölns hinaus blickende, weltweit bekannte Marke. „Es gab nie eine konkrete Idee für die musikalische Ausrichtung des Labels. Mich festzulegen, das hat mich nie interessiert“, so erklärt Steinle das Tomlab-Prinzip. Acts wie Final Fantasy oder The Books wurden dann nicht nur von der Kritik bejubelt, sondern verkauften sich auch ordentlich. Auch in den USA. Auch in Japan. Für eine deutsche Plattenfirma ist das keine Kleinigkeit.

Diese Erfolgsgeschichte kann Tom Steinle niemand nehmen. Die Frage ist nun, wie genau sich auf diese weiter aufbauen lässt. In den drei Jahren, in denen Steinle ziemlich raus war aus dem Musikbusiness, ist es für eine kleine Plattenfirma wie die seine nicht unbedingt leichter geworden. Ganze Märkte, etwa Italien, seien weggebrochen, sagt er, in seinem kleinen Büro in Kreuzberg sitzend. Streaming ist nun ein riesiges Thema und natürlich Social Media, ohne beides lässt sich heute kaum noch Musik vermarkten. Mit Facebook, Soundcloud und Co. könne er sich jedoch einfach nicht so richtig anfreunden, sagt Steinle, der auch persönlich Wert darauf legt, möglichst wenige Spuren im Internet zu hinterlassen. „Vielleicht bin ich aus der Zeit gefallen, aber ich habe einfach keinen Bock auf Social Media“, erklärt er.

Steinle will es noch einmal versuchen, aber ruhig und eben auf seine Weise. Ohne Druck und Erfolgszwang möchte er „einfach schauen, ob ich Tomlab noch einmal neu erfinden kann“. Im letzten Jahr hat er das Debütalbum der Band Hearts Hearts veröffentlicht, die zwar aus Wien kommen, aber kein Stück nach Wanda und den anderen Wiener-Schmähbands klingen, sondern eher wie The Notwist. Auch Owen Ashworth, einer der dienstältesten Musiker auf Tomlab überhaupt, hat unter dem Namen Advance Base eine neue Platte bei Steinle herausgebracht. So lassen sich beim Neubeginn eigene Tradition und ein Blick nach vorne schon mal ganz gut vereinen.

Auch das Ohr für neue Talente in der unmittelbaren Umgebung scheint sich Steinle bewahrt zu haben. Mit “Teilzeit Swag“ hat er jüngst das Debüt des Berliner Klangtüftlers Heimer herausgebracht, eine Platte voller windschiefer Elektronik, die sehr nach Tomlab klingt. Auch wenn man nicht genau erklären kann, was das überhaupt heißt.

www.tomlab.com

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