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Der Nacktmull macht Mut

Menschen mit Makeln sollen sich im ersten deutschen „Club der Hässlichen“ zusammenfinden. Bei seiner Gründung in einer Hamburger Szenebar ging es jedoch eher stylisch zu. Beobachtungen in einer Zone des Distinktionsgewinns

Von Kristina Allgöwer

„Es ist Zeit“, ruft der Mann mit der großen Nase. „Es ist endlich Zeit, dass die Hässlichen auch mal im Licht stehen.“ Ein Projektor wirft das Bild eines Nasenaffen an die Wand. Etwas verhalten applaudieren einige der rund hundert Gäste in der Hamburger Szenekneipe Ponybar. Der Mann ist Harald Gasper, Creative Director bei der Werbeagentur Jung von Matt. Gemeinsam mit seiner Frau Regina, einer Journalistin vom Hamburger Abendblatt, will er an diesem Abend einen Club gründen: den „Club der Hässlichen“.

Harald und Regina Gasper finden sich selbst „ziemlich hässlich“. Er wegen seiner großen Nase und einer Million Sommersprossen, sie wegen ihrer großen Füße und einer Million Adern unter dünner Haut. Schon als Kinder fühlten sich beide benachteiligt: der kleine Harald, weil er beim „Raumschiff Enterprise“-Spielen nie die Rolle des schönen Captain Kirk bekam. Die kleine Regina, weil sie als 12-Jährige ihre Schuhe in Größe 42 nur in der Herrenabteilung kaufen konnte. Noch heute fühlt Regina Gasper sich schlecht, wenn die attraktive Frau vor ihr in der Bäckerei-Schlange ein dickes Lächeln erntet, sie selbst aber ignoriert wird.

Menschen mit Segelohren, krummen Beinen oder Bierbäuchen sucht man am Abend der Clubgründung vergebens in der Ponybar. „Wir hoffen, dass die Hässlichen aus ihren Löchern kommen“, hatte Harald Gasper zu Beginn des Abends gebangt. Das Publikum scheint jedoch vornehmlich aus Fernsehteams, Radioreportern, verirrten Studenten, Freunden des Gratis-Proseccos und Freunden des Ehepaars Gasper zu bestehen.

Zumindest Letztere jubeln, als Harald Gasper das Manifest des Clubs der Hässlichen verliest: „Wir sind hässlich und wir sind viele.“ Nach den Frauen, die abgetrieben haben und den bekennenden Schwulen und Lesben seien die Hässlichen die letzte gesellschaftliche Gruppe, die sich noch nicht geoutet hat. Das will Gasper nun tun. An der Wand hinter ihm erscheint das Bild eines Nacktmulls, eines Nagetiers, das in den Halbwüsten Ostafrikas lebt. „Dieser Schrumpelpenis mit Zähnen hat im Internet eine riesige Fangemeinde gefunden“, referiert der 41-Jährige. „Das war ein Ansporn für uns zu sagen: Wir sind so, wie wir sind.“

Vorbild für den ersten deutschen Club der Hässlichen ist der „Club dei Brutti“ in Piobicco, einem kleinen Dorf in der italienischen Provinz Pesaro. Erstmals 1879 erwähnt, gelangte der Club in den 1960er Jahren als Heiratsagentur zu neuer Blüte. Die 128 Junggesellinnen des Ortes, die sich nicht schön genug fühlten, sollten so an den Mann gebracht werden. Heute hat der Club dei Brutti mehr als 20.000 Mitglieder und versteht sich als Forum für alle Hässlichen. In jedem Jahr pilgern am ersten Sonntag im September Mitglieder aus aller Welt nach Piobicco, um auf einem Festival ihren Präsidenten zu wählen und das Motto des Clubs zu feiern: „Schönheit ist Sklaverei, Hässlichkeit ist eine Tugend“.

Wer in den Club dei Brutti aufgenommen werden will, muss dem Präsidenten ein Foto von sich schicken. Dieser entscheidet darüber, ob der Kandidat als „nicht ausreichend hässlich“, „normal hässlich“ oder „außerordentlich hässlich“ eingestuft wird. Das Urteil wird im Mitgliedsausweis vermerkt, den der Club ausstellt.

In Harald und Regina Gaspers Club ist die Aufnahme weniger kompliziert. Die Bewerber müssen nur ein einziges Körpermerkmal nennen, dass sie an sich hässlich finden: dünne Haare, schmale Lippen, krumme Zehen. Auch Ponybar-Wirt Falk Hocquél füllt seine Mitgliedskarte aus, „schon aus Solidarität“, weil er sich eigentlich nicht hässlich, sondern nur ein bisschen zu klein findet. Überhaupt kann er in seiner Bar an diesem Abend keine hässlichen Menschen entdecken: „Eigentlich eine relativ stylische Veranstaltung.“

Alle vier Wochen will sich der Club künftig in der Ponybar treffen. Hocquél bezweifelt, dass diese Abende hässliche Menschen anziehen werden. „Die Idee finde ich witzig“, meint der Wirt, „aber ich weiß nicht, ob die Leute bereit sind, sich unter so einem krassen Namen zu treffen.“

Zufällig in die Veranstaltung geraten ist Christian von Humboldt, 61-jährig und Syndikus eines Hamburger Unternehmens. Er ist sich unsicher, ob die Clubgründung nicht nur eine „Verhohnepiepelung“ ist. „Ich bin für Schönheit und dafür, dass man sich pflegt. Auch im Alter noch“, sagt der hoch gewachsene Mann im Anzug. Möglicherweise sei der Abend auch nur als Promotion-Veranstaltung für das Buch gedacht, dass das Ehepaar Gasper zum Thema Hässlichkeit geschrieben hat und zur Clubgründung der Öffentlichkeit präsentiert.

Bis zum Ende des Abends haben sich knapp 40 neue Mitglieder des Clubs der Hässlichen gefunden. Auch die Journalistin Paula hält einen orangefarbenen Mitgliedsausweis in der Hand und trägt bereits eines der T-Shirts, die in der Ponybar verkauft werden. Darauf abgebildet ist der Nasenaffe, das Logo des Clubs der Hässlichen. Paula ist 50 Jahre alt und sieht jünger aus. „Das liegt am Licht“, sagt sie wie zur Entschuldigung, als dürfe man an einem solchen Abend nicht gut aussehen. Nur zögerlich gibt sie zu, dass sie sich selbst eigentlich nicht hässlich findet. Nur ihre Oberschenkel seien zu dick.

In den Club ist Paula eingetreten, weil sie es gut findet, wenn die Leute zu ihren kleinen Fehlern stehen. Als sie ihre Freundin bitten wollte, sie zu der Veranstaltung zu begleiten, hat sie sich jedoch nicht getraut: „Nicht dass die denkt, ich finde sie hässlich.“

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