piwik no script img

Aus Le Monde diplomatiqueGespräche mit kriegsmüden Rebellen

Der Friedensprozess in Kolumbien ist höchst unsicher. Auf der nationalen Konferenz der Farc beschwor die Führung die Zukunft der Guerilla als Partei.

Rebellinnen feiern den Frieden – ob er hält, was sie sich erhoffen? Foto: ap

Nach einer langen Reise über unwegsames Gelände stehe ich auf einem Stoppelfeld vor einer riesigen Bühne, beleuchtet vom kalten, weißen Licht des Vollmonds. Wir sind neun Stunden vom nächsten Provinzflughafen und sechs Stunden von der nächsten halbwegs befestigten Straße entfernt – solange es nicht regnet. Und da steht eine Bühne, die sich ebenso auf einem Riesenfestival in Deutschland befinden könnte.

Hier, irgendwo an der Grenze der Departamentos Meta und Caquetá in Kolumbien, findet vom 17. bis zum 23. September die Konferenz der kolumbianischen Guerillagruppierung Farc-EP statt. Hundert Schritt von der Bühne Richtung Regenwald stehen drei große Zelte: das Restaurant, das Pressezelt mit Arbeitsplätzen (und Mehrfachsteckdosen) und ein Zelt mit Hunderten von Stockbetten, dahinter eine lange Reihe Dixi-Klos. Es riecht nach feuchten Zeltwänden. Beim Abendessen schwärmt der Ingenieur, der den Aufbau der Zeltstadt überwacht hat, von der Disziplin der Guerilleros: „Überall in Kolumbien hätte das ein halbes Jahr gedauert, aber die haben das in zwei Wochen hinbekommen.“

Eine Band ist gerade beim Soundcheck. Die Stimme aus den Lautsprechertürmen und das Schlagzeug hallen vom Waldrand zurück. So weit das Auge reicht, ist nur graue, in den Flussniederungen vom Regenwald durchsetzte Savanne zu sehen, die Llanos de Yarí, ohne eine Spur menschlicher Eingriffe in die Natur. Geht man ein paar Minuten in die Ebene hinein, kann man sich vorkommen wie der einzige und letzte Mensch auf der Welt, aber es ist freilich besser, in der Nähe der Zelte zu bleiben, denn wenn hier von Minenfeldern die Rede ist, dann nicht im übertragenen Sinn.

Von morgens sieben bis neun Uhr abends findet auf der Festwiese das Kulturprogramm statt, die Guerilla steht früh auf. Die Band Alerta Kamarada aus Bogotá spielt, junge Guerilleros in Gummistiefeln tanzen, ältere sitzen auf Plastikstühlen und schauen etwas skeptisch, mittendrin sind Pressevertreter mit ihren schweren Kameras auf der Suche nach Guerillaromantik, die meisten aus Kolumbien, aber auch einige aus den USA und Spanien.

Ein Kämpfer tanzt in Gummistiefeln

Estéban, ein junger Kämpfer aus einem der umliegenden Camps, klettert auf die Bühne, tanzt und reimt im aufbrausenden Jubel und natürlich in Gummistiefeln über sein Gewehr, das jetzt schweigen wird, und über den Frieden. Das alles kann man inzwischen auf YouTube sehen, auch die Fahne der Unión Patriótica (UP), die ausdauernd geschwenkt wird, zunächst nur am Rand. Dann aber wird der Fahnenträger vor die Mitte der Bühne gelotst, damit das Gelb der Fahne im Scheinwerferlicht gefilmt, auf die Leinwand in die Savannennacht projiziert und von den Fernsehteams übertragen werden kann.

Eine zweifach gespiegelte Inszenierung, so kann man das sehen, aber ergreifend ist sie doch, wenn man an die Geschichte der UP denkt: 1985 wurde sie im Zuge der damaligen Friedensverhandlungen als legaler Arm und Partei der Guerilla gegründet – und in den darauffolgenden Jahren praktisch ausgelöscht. Fast alle, die öffentlich für die UP auftraten, wurden ermordet, von Drogenhändlern, von Paramilitärs, vom Inlandsgeheimdienst oder einfach von Kindern, denen jemand eine Waffe in die Hand gedrückt hatte.

Le Monde diplomatique

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe von Le Monde diplomatique, der großen Monatszeitung für internationale Politik. LMd gibt es jeden Monat neu gedruckt und digital sowie zum Anhören. Das komplette Inhaltsverzeichnis der neuesten Ausgabe kann man hier nachlesen: www.monde-diplomatique.de/zeitung.

Die Kameras umringen eine Guerillera mit langen schwarzen Haaren. Es ist Alexandra Nariño (mit bürgerlichem Namen Tanja Nijmeijer), eine Holländerin, die seit 2002 in den Reihen der Farc kämpft. Im Herbst 2007 veröffentlichte die kolumbianische Wochenzeitschrift La Semana Auszüge aus ihrem Tagebuch, das der Armee bei der Eroberung eines Camps in die Hände gefallen war. Die Guerillera beklagte sich darin über die Monotonie des Lagerlebens, die Einfalt der Kommandanten und die mangelnde Bereitschaft der Guerilleros, Kondome zu verwenden.

2010 wurde schon einmal ihr Tod gemeldet. Aber Nariño lebt. Sie ist in der Rebellenorganisation aufgestiegen und hat das Friedensabkommen in Havanna mit ausgehandelt. In hochhackigen Schuhen und aufgekrempelten Jeans posierte sie vor den verfallenden Wänden in Kubas Hauptstadt. Jetzt trägt sie wieder Gummistiefel und Tarnhose und ein in der Bühnenbeleuchtung schimmerndes Oberteil.

Alles hier ist tarnfarben

In den USA ist Nariño angeklagt, an der Entführung von drei US-Staatsbürgern beteiligt gewesen zu sein. Ihr drohen bis zu 60 Jahre Haft. Jetzt steht sie hier und umarmt lachend und scherzend Kameradinnen, als reiche der lange Arm der US-Justiz nicht in die Llanos de Yarí. Nach dem Konzert geht sie quer über das Feld in ein Camp unten in der Senke, zusammen mit zwei Guerilleras verschwindet sie in der Vollmondnacht.

Alles hier ist tarnfarben, selbst der Klapphocker, auf dem ich am nächsten Tag bei den Interviews im Regenwald kauere. Die Guerilleros erzählen, was sie einst bewog, sich den Rebellen anzuschließen, und was sie nun vom Leben ohne Waffe erwarten. Manche haben mehr als ihr halbes Leben im Dschungel verbracht. Fast alle stammen aus bäuerlichen Verhältnissen und kamen mit 14, 15 Jahren zur Farc. In dem Alter ist man auf dem Land in Kolumbien bereits erwachsen.

Stefan Krauth

ist Jurist und Autor. Zuletzt erschienen: „Stummer Abschied“, Reinbek bei Hamburg (Rowohlt) 2016.

Der Staat war für sie bestenfalls einer, der die Landbevölkerung vergessen hatte. Aber meist betrachteten sie ihn als Feind, der zusammen mit den Großgrundbesitzern den Bauern das Leben zur Hölle machte. „Es gab keine Alternative“, oder: „Es war selbstverständlich“, das höre ich immer wieder. Wie es mit ihnen weitergeht? Alle sagen, sie wollen studieren und sich in die Partei einbringen, die aus der Farc entstehen soll. Wie ein Mantra wird das vorgetragen: studieren (Medizin, Landwirtschaft), in der Partei mitmachen, sich dem „demokratischen Zentralismus“ der Führung unterordnen.

Obschon sie seit Jahren fern ihrer Familien im Dschungel umherziehen, äußern sie nicht einmal den Wunsch, dorthin zurückzukehren, wo sie einst gelebt haben. „Die Partei wird mich dort hinschicken, wo ich am meisten gebraucht werde.“ Es klingt nach fertigen Worthülsen. „Wir demobilisieren uns nicht, wir ändern nur die Form des Kampfs für ein gerechteres Kolumbien.“ Dass man das auch als Kapitulation sehen kann, dass man die im Abkommen vorgesehenen Zonen der Transformationen und Normalisierung, in denen sich die Guerilleros versammeln sollten, um die Waffen abzugeben, auch als Gefängnis unter freiem Himmel bezeichnen könnte, wie es die ELN tut, davon keine Spur.

Die Gewehre wirken wie Requisiten

Ob sie sich zu dem Zeitpunkt überhaupt vorstellen können, dass das Friedensabkommen beim Referendum, wenn auch denkbar knapp und mit selbst für kolumbianische Verhältnisse geringer Wahlbeteiligung, abgelehnt werden wird? Der Gedanke spielt keine Rolle, sie gehen auf in ihren Träumen von einer Zukunft in Frieden. Sie haben die Waffen zwar noch in der Hand, scheinen sie aber nie wieder benutzen zu wollen. Beim Appell wirken ihre Gewehre wie Requisiten.

Die Führung der Farc hat die einfachen Guerilleros in ihren Verlautbarungen und Friedensparolen offenbar nicht auf ein Nein bei der Abstimmung vorbereitet. Sie selbst aber scheint damit gerechnet zu haben, denn am Tag nach dem Referendum liest man umgehend ihre Beteuerung, am Frieden festhalten zu wollen. „Der Frieden in Würde ist gekommen, um zu bleiben“, heißt es im Kommuniqué des Generalstabs der Guerilla.

Auf dem Weg in ein ziviles Leben Foto: ap

Meine Gesprächspartner machen sich jedoch keine Illusionen, weder über das Ansehen der Farc in der Bevölkerung noch über die ganz reale Gefahr, die von den Paramilitärs ausgeht, wenn einmal die Waffen niedergelegt sein sollten. „Sie werden uns schon nicht alle umbringen“, sagt der 45-jährige Chaparro abgeklärt. Und der 38-jährige Aldemar, der seit seinem 15. Lebensjahr bei der Farc ist, hat die Hoffnung, dass es diesmal, wo die internationale Gemeinschaft den Friedensprozess überwacht, besser laufen wird als damals mit der Unión Patriótica. Einmal werde ich, ein Journalist aus dem fernen Deutschland, gefragt, ob es Präsident Santos ernst sei, ob man ihm vertrauen könne.

Der Landbesitz ist entscheidend

Ob sich das Blutvergießen der letzten Jahrzehnte gelohnt habe, ob also Kolumbien nach 52 Jahren Krieg und mehr als 250.000 Toten ein gerechteres Land sei, hatte ich sie noch fragen wollen. Denn alles in Kolumbien dreht sich letztlich darum: dass der größte Teil der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche in der Hand einiger weniger Familien ist, die zugleich die politische Klasse stellen. Und die Landfrage ist nicht ansatzweise gelöst. In den letzten Jahrzehnten ist das Gegenteil dessen eingetreten, wofür die Guerilla doch kämpfen wollte. Meine Frage erübrigt sich gegenüber den Leuten, die nichts zu verlieren hatten und ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Welche Erkenntnis könnte sie auch bringen? Es ist beklemmend. Selbst die Farc scheint manchmal nur eine Figur in einem Spiel zu sein, in dem sich alles bewegt, damit alles so bleibt, wie es ist.

Es hat viele Tote gegeben aufseiten der Guerilla, vor allem während der von den USA logistisch und finanziell unterstützten Bombardements. Wie gehen die Guerilleros mit ihren Toten um? Staaten haben ihre Heldenverehrung, ihre Reden und Gedenkstätten, aber wie trauert eine Guerilla im Untergrund, ausgeschlossen von allen öffentlichen Trauerfeiern?

Ein wenig beantwortet Adriana die Frage. Mit 17 war sie zur Farc gekommen, jetzt ist sie 32. Ihr Haar ist glatt und pechschwarz wie ihre Augen, im Nacken ist es ausrasiert. Darauf angesprochen, lacht sie und gibt ihrer Nachbarin die Schuld, die „etwas ausprobieren wollte“. Sie kommt aus dem Departamento Guaviare, weiter im Osten, Richtung Venezuela. Dort war die Farc immer präsent. Sie habe diese Leute gefragt, warum sie alle Waffen trügen, und sie hätten es ihr erklärt – so sei sie zur Guerilla gekommen. Mit der Entscheidung habe sie nie gehadert. „Ich habe das Richtige getan.“ Ihre Familie hat sie im ersten Jahr noch einmal gesehen, danach nicht mehr, zu groß war die Gefahr, dass „der Feind“ sich an ihren Angehörigen rächen könnte.

Adriana will Kommunikation studieren

Die ersten Nachrichten über die Friedensverhandlungen hat sie mit „Freude, Sehnsucht und Sorge“ aufgenommen, zuletzt hat sie sich aber von der eigenen Führung verraten gefühlt. „Sie haben von Waffenstillstand gesprochen, aber die Patrouillen haben uns ständig verfolgt, zwei Monate waren wir ständig in Bewegung, ständig kreuzte die Armee auf.“ Immer weiter hinauf ins Gebirge sei sie mit ihrer Einheit gekommen, bis über die Baumgrenze ins Páramo, um wieder Funkkontakt mit den anderen Einheiten zu bekommen.

Und das politische Projekt? Ich höre wieder die bekannte Antwort: Sie will sich einbringen in die Partei und Öffentlichkeitsarbeit machen, in der Normalisierungszone will sie studieren, „Kommunikation“, wie sie sagt. „Aber wir sind ohnehin gut ausgebildet. Wie haben hier Leute, die können Arme und Beine amputieren oder Schussverletzungen behandeln.“ Dabei legt sie sich kurz die flache Hand auf den Bauch. „Ihnen fehlt nur das Diplom.“ Sie macht eine Bewegung, als hielte sie im ausgestreckten Arm ein Stück Papier. Ein Affe springt über uns durchs Blätterdach.

Das politische Projekt, sagt Adriana unvermittelt, sei auch „für alle, die wir auf dem Weg zurücklassen mussten. Wir vollenden ihre Ideen und ihr Projekt, und so leben sie weiter.“ Neben ihrer Pritsche hängt eine AK-47. Sie hat sie seit zehn Jahren. Sie wiegt acht Pfund. „Man gewöhnt sich an das Gewicht.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare