: Überall die gleichen Bilder
GLOBAL TURNErst jetzt beginnen sich Kunstmuseen damit zu beschäftigen, wie eine zeitgemäße Präsentation ihrer Sammlungen aussehen könnte. Eine Konferenz im Hamburger Bahnhof will die Debatte anstoßen
von Ronald Berg
Man muss wohl konstatieren, dass die Kunstgeschichte eine sehr konservative Disziplin darstellt. Zu dieser Annahme bedarf es nur eines Blickes in die Kunstmuseen unseres Kontinents. Im Grunde genommen gibt es überall die gleichen Bilder und bis zur Moderne ist der Kanon der Genies und Meisterwerke offenbar so gut wie unverrückbar. Das Kästchendenken in Epochen und nationalen Schulen aus dem 19. Jahrhundert findet sich sogar noch bei der Berliner Gemäldegalerie in Beton gegossen, einem Gebäude, das erst vor 18 Jahren eröffnet wurde.
Aber bereits in der Struktur der Staatlichen Museen des Preußischen Kulturbesitzes ist die Aufteilung der Kunst nach Gattungen von Skulptur, Malerei, Grafik, Fotografie festgeschrieben. Über den Rand des eigenen Kästchens hinauszublicken oder gar aus den Strukturen des Schubladensystems auszubrechen, fällt den Museumsleuten offenbar schwer.
Nun sind aber die Verhältnisse der Gegenwart inzwischen andere als im 19. Jahrhundert, als man noch versuchte, die Welt als Ganzes in ein System einzusortieren. Ob man sich beispielsweise auf Alexander von Humboldt berufen soll, wie beim Humboldt-Forum, bleibt deshalb zweifelhaft, ist doch jedes System immer auch ein zeitgebundenes Phänomen. Heute ist vernetztes Denken angesagt, gemäß der Lage in einer vernetzten Welt. Irgendwie hängt alles mit allem zusammen: Man nennt diese Lagebeschreibung auch Globalisierung.
Es wäre töricht anzunehmen, die Kunst wäre davon nicht betroffen. Im Gegenteil. Nicht nur Waren und Dienstleistungen zirkulieren rings um den Globus, Gedanken und ästhetische Konzepte tun es auch – inzwischen dank Internet in Blitzesschnelle. Transkulturelle Einflüsse hat es im Übrigen immer schon gegeben – in der Steinzeit genauso wie in der weltweit vernetzten Kommunikation des Internetzeitalters. Wo wären die Wissenschaften des Abendlands ohne die orientalische Null? Was wäre Europa ohne die Kartoffel? Was die italienische Küche ohne die Tomate? Was die Kunst der französischen Fauves und der deutschen Expressionisten ohne Südsee und „Negerplastik“?
Doch noch findet sich von solchen Einflüssen und Wechselwirkungen kaum etwas im Bild der eurozentrischen Kunstgeschichte wieder. Denn außereuropäische Kunst wird ja immer noch in der Schublade Völkerkunde abgelegt – auch wenn das heute politisch korrekt Ethnologie heißt.
Zwar ist Globalisierung inzwischen ein Alltagsphänomen geworden, doch gerade erst jetzt beginnen sich auch die Kunstmuseen mit der Frage zu beschäftigen, wie eine zeitgemäße Präsentation ihrer Sammlungen aussehen könnte, die nicht mehr die hierarchische Annahme impliziert, wonach ein Zentrum – das alte Abendland – darüber bestimmt, was Kunst auch im Rest der Welt sei und wie sie auszusehen habe.
Inzwischen ist die alte Form des eurozentristischen Denkens (nicht nur moralisch) fragwürdig geworden, da dessen Legitimität nur auf willkürlichen Annahmen beruht, die mit Gewalt, wirtschaftlicher Überlegenheit und kultureller Hegemonie durchgesetzt wurden. Das aber widerspricht im Grunde den eigenen stets beschworenen Werten, wonach das Abendland durch Freiheit, Fortschritt und das bessere Argument sich seine privilegierte Stellung im Weltgefüge erworben habe. Solche Annahmen sind durch die Realität der Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt längst brüchig geworden, auch wenn sich das heute vielfach außerhalb des Gesichtskreises der Europäer abspielt.
Gerade die europäische Kunst läuft spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts im permanenten Krisenmodus und versucht die Defizite der abendländischen Verheißung durch Außereuropäisches zu kompensieren. Der Jazz brachte Körper und Rhythmus in die verkopfte europäische Musik zurück, die „Wilden“ aus Südsee und Afrika versorgten Maler und Plastiker in Paris oder Berlin mit Ausdrucksformen für verdrängte Spontanität und Ekstase – auch wenn die scheinbar primitiven Vorbilder oft gar nicht recht begriffen wurden.
Entlang solch globaler Einflüsse könnte man die Geschichte der Kunst auch erzählen. Es bedarf also der Neuorganisation, in der sich der Blick der Kunstgeschichte auf die Vergangenheit permanent aktualisiert – was ja im übrigen Wesen und Programm der europäischen Moderne war, nicht nur in der Kunst. In einem solchen Neuansatz für die Museen ginge es nicht um bloße Verunsicherung durch Aufhebung des gewohnten Kanons, sondern im Gegenteil gerade um Orientierung durch Geistesgegenwart.
Genau das versucht das „Museum für Gegenwart“, besser bekannt als Hamburger Bahnhof, mit einer zweitägigen Konferenz am 2. und 3. Dezember unter dem Titel „Die Idee des globalen Museums“ anzustoßen. Unterstützung bei diesem Vorhaben lieferte die Kulturstiftung des Bundes, die ähnliche Aktivitäten auch in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf und am Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main fördert.
Auf der Konferenz soll es den europäischen und außereuropäischen Museumsleuten explizit um die „Entwicklung alternativer Erzählungen“ zur Kunst im Museum gehen. Der Hamburger Bahnhof will dann von November 2017 bis April 2018 in einer großen Ausstellung das Experiment einer Neupräsentation seiner eigenen Bestände unter Berücksichtigung ihrer „internationalen und transregionalen Verflechtungen“ vorstellen.
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