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„Jeder Wachmann war verantwortlich“

Ermittlungen Jens Rommel, Leiter der Zentralen Stelle zur Ermittlung von NS-Verbrechern, zu den Konsequenzen des Urteils

Foto: Zentrale Stelle Ludwigsburg
Jens Rommel

geboren 1972, leitet seit Oktober 2015 die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg.

taz: Herr Rommel, welche Bedeutung hat das Urteil des Bundesgerichtshofs für die weitere Strafverfolgung von mutmaßlichen NS-Straftätern?

Jens Rommel:Wir sehen uns mit dieser Entscheidung in unserer Auffassung bestärkt, wonach auch der einzelne Wachmann mitverantwortlich ist für die systematischen Morde in Auschwitz. Das sind Verbrechen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie dort bürokratisch organisiert von vielen Beteiligten begangen worden sind. Wir werden jetzt genau analysieren, unter welchen Voraussetzungen sich einzelne Personen in der Organisation eines Konzentrationslagers strafbar gemacht haben. Wir haben unsere Schwerpunkte ja an dem weiten Begriff der Beihilfe ausgerichtet und unsere Ermittlungen auf andere Lager ausgedehnt. Wir werden genau schauen, an welchen Stellen die neue Rechtsprechung uns weitere Ermittlungen ermöglicht.

Tausende mutmaßliche NS-Straftäter sind davongekommen, weil über Jahrzehnte die Rechtsauffassung galt, dass alleine die Tätigkeit in einem NS-Vernichtungslager nicht zu einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord ausreicht. Kommt das BGH-Urteil nicht 30 Jahre zu spät?

Ich glaube, jede Juristengeneration muss versuchen, sich diesen staatlichen Verbrechen anzunähern. Wir machen das mit dem gleichen Gesetz, das damals schon gegolten hat – aber wir versuchen, die Besonderheiten dieser Massenverbrechen zu berücksichtigen. Ich hätte mir auch gewünscht, dass das Ganze früher so gekommen wäre.

Gegen wen ermittelt die Zentralen Stelle derzeit konkret?

Die jetzige Entscheidung betrifft Auschwitz und Majdanek. Beide Lager waren schon in den vergangenen Jahren Schwerpunkte bei den Ermittlungen der Zentralen Stelle. Wir haben jetzt auch die Lager Stutthoff, Bergen-Belsen und Neuengamme in den Blick genommen und zuletzt unsere Ermittlungen auf Buchenwald und Ravensbrück ausgedehnt. Wir müssen zunächst prüfen, ob auch in diesen anderen Lagern systematische Ermordungen zu bestimmten Zeitpunkten nachzuweisen sind. Danach geht es darum, das Personal ausfindig zu machen, dass in dieser Zeit Dienst getan hat.

Bei den Ermittlungen in Stutthoff haben Sie die Vorermittlungen abgeschlossen und an die Staatsanwaltschaften abgegeben?

Ja. Im Sommer konnten wir acht Verfahren abgeben. Das betrifft vier Wachmänner und vier Frauen, die in der Kommandantur tätig gewesen sein sollen. Das betrifft Staatsanwaltschaften von Hamburg bis München, die jetzt weiter ermitteln und entscheiden müssen, ob Anklage erhoben werden kann.

Die letzten noch lebenden mutmaßlichen NS-Straftäter sind heute alle mindestens 90 Jahre alt. Was glauben Sie, wie lange wird die Zentrale Stelle noch ermitteln?

Die Justizminister der Länder, die die Zentrale Stelle tragen, haben sich im letzten Jahr mit dieser Frage befasst und erklärt, ein Ende der Ermittlungen sei noch nicht absehbar. Der baden-württembergische Justizminister hat 2015 von zehn Jahren gesprochen. Das wäre dann 2025. Das scheint auch mir persönlich die Obergrenze zu sein.

Interview Klaus Hillenbrand

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