Brauseboys, „Einfach tanzen“ und Lea Streisand
: Coole Fourtysomethings

Ausgehen und Rumstehen

von Mareike Barmeyer

Das Wochenende beginnt mit einem Absacker im Oscar Wilde in der Nacht von Donnerstag auf Freitag. Nach einer Lesung mit den Brauseboys im La Luz sind mein Bruder und ich vom Wedding nach Kreuzberg mit dem Fahrrad unterwegs durch die nächtliche Stadt. Müllerstraße und Chausseestraße sind Freitagmorgen gegen 2 Uhr wie ausgestorben.

Im Irish Pub am Ende der Friedrichstraße scheint sich die vergangenen 20 Jahre nichts verändert zu haben. Wir kommen gerade noch rechtzeitig für die letzte Runde. Hungrig fragen wir nach „porc scratchings“ zu unserem Newcastle Brown Ale und werden vom irischen Barmann ausgelacht. Die frittierte Schweinskruste gibt es leider nicht.

Fingerfoodund Sekt auf Eis

„Fourtysomething klingt einfach viel cooler als Ü 40“, sagt meine Freundin S. zu mir. Es ist Freitagabend und wir gehen auf eine Party von Freunden im Schurkenkeller in der Christinenstraße. „Einfach tanzen“ lautet das Motto der Party. Vielleicht will man ab 40 einfach nicht mehr so gerne Geburtstage feiern und sucht sich deshalb andere Gründe? Es gibt ein Buffet aus mitgebrachtem Fingerfood und Sekt auf Eis. Man drängt sich an der Bar und – mottogetreu – auch auf dem Dancefloor, den ein DJ, auch ein Fourtysomething, mit den Hits der 90er bespielt. Die Männer haben wenig Haare und Brillen. Die Frauen viel Haare und Brillen. An der Bar hören S. und ich diverse Gespräche über Babysitter und Burnouts mit. Ein Mann läuft mit Liam-Gallagher-Haarschnitt durch die Menge. S. und ich finden ihn ganz entzückend. S. zündet sich aus Versehen ihren blonden Pferdeschwanz an einer Kerze an und wird von einer netten Frau gerettet, die ihr auf den Zopf schlägt. Bevor wir gehen, zieht Liam Gallagher seine Perücke auf dem Dancefloor aus und enthüllt eine Glatze.

Am Samstagabend ist Buch­premiere von Lea Streisands erstem Roman im Roten Salon in der Volksbühne. Die Band Zuckerklub eröffnen den Abend vor ausverkauftem Haus mit zwei wunderschönen Songs. Lea Streisand, Lesebühnenkönigin, Radio-Eins-Kolumnistin, taz-Autorin und nun auch noch Romanautorin sitzt lässig auf der Bühne und spricht mit Marion Brasch über ihr Buch „Im Sommer wieder Fahrrad“. Ein Buch einerseits über ihre Großmutter Ellis Heiden, genannt Mütterchen, eine mutige, bemerkenswerte Frau, die ein sehr aufregendes Leben geführt hat (Leser*innen dieser Zeitung kennen Mütterchen bereits aus ihrem Fortsetzungsroman „Der Lappen muss hoch“), und andererseits über die autobiografisch angelegte Protagonistin Lea und ihren Kampf gegen die Angst vor dem Sterben.

Während Mütterchen in dieser Geschichte durch das zerbombte Berlin stapft und ihren Verlobten aus einem Arbeitslager rettet, muss sich Lea mit dem Krebs in ihrem Körper beschäftigen. „Krebs“, liest sie an einer Stelle vor, „ist der König der Angst.“

Man will nicht, dasssie aufhört zu lesen

Und wenn Lea Streisand hier mittels ihrer Figur über ihre Todesangst spricht, ist es im Saal so still, dass man eine Stecknadel runterfallen hören könnte. Kurz darauf, bei einer anderen Passage, grölt das Publikum vor Lachen. Man hat das Gefühl, auf der Bühne passiert etwas Großes und alle im Saal merken es. Junge Leute sitzen im Publikum, alte und auch viele Mittvierziger. Es ist eine gute Mischung, und man will gar nicht, dass Lea Streisand aufhört zu lesen. Zum Glück kann man ihr wunderbares Buch kaufen.

Danach legt DJ Ms. Pacman auf und wir trinken Freibier und tanzen zu Musik der 80er. Als ich gehe, setzt gerade Grauzones „Ich möchte ein Eisbär sein“ ein. Ich radle gegen 1 Uhr morgens auf der Prinzenstraße vorbei an vielen jungen Menschen auf dem Weg zum Parker Bowles und Ritter Butzke. Ich fahre nach Hause. Den Absacker hatte ich schon Freitag früh.