Mehr als eine Lex Russland

Daily Dope (720) Die Wada will künftig Länder mit lückenhaften Kontrollsystemen von Großereignissen ausschließen

Wada-Präsident Craig Reedie lobt die Athletenvertreter Foto: ap

Aus Glasgow Tom Mustroph

Der erste Programmpunkt beim Foundation Board Meeting der Wada in Glasgow traf gleich einen wunden Punkt. „Muss jemand der Anwesenden Interessenskonflikte offenlegen?“, fragte Generaldirektor Olivier Niggli. Und wer nun erwartete, dass die Arme reihenweise hochgehen, der sah sich getäuscht. Weder bei den Vertretern des IOC , die Doping eher für ein Imageproblem halten, noch bei den Vertretern der Sportverbände, die häufig die eigene Sportart zu Unrecht angeprangert sehen, noch bei den Repräsentanten der nationalen Verbände, die Dopingkontrollen vor allem dann gut finden, wenn sie in anderen Ländern erfolgen, regte sich etwas.

Nicht einmal die Hand von Witali Smirnow. Gut, der hochdekorierte russische Sportfunktionär war nur als Gast geladen, er sitzt nicht im Wada-Stiftungsrat. Der 81-Jährige, von Russlands Präsident Wladimir Putin für den Vorsitz der Doping-Aufarbeitungskommission berufen, machte dann später aus seiner Gegnerschaft zur Wada und zur McLaren-Kommission keinen Hehl. „Der McLaren-Report enthält viele Fehler“, sagte er. „Russisches Staatsdoping gab es nicht. Es handelt sich nur um Vergehen einzelner Krimineller“, sagte er auch. Als die englischsprachige Journalistenfraktion ihn dann bedrängte, ob der – mittlerweile zurückgetretene – russische Sportminister Witali Mutko oder dessen entlassener Vize Juri Nagornykh nun auch ganz individuell agierende Kriminelle gewesen seien und nicht etwa Rädchen im gut geölten Vertuschungssystem, rettete sich der Gefragte in formalistische Debatten darüber, ob ein Vizeminister nun Teil der Regierung sei oder nicht.

Smirnow warf auch seine beeindruckende Karriere – IOC-Ehrenmitglied, jahrelang Sportminister und NOK-Chef seines Landes und auch Vizechef des Organisationskomitees der wegen des Afghanistankriegs boykottierten Olympischen Spiele in Moskau – in die Waagschale, um zu beweisen, dass es gar kein Staatsdoping gegeben haben könne. Denn er habe davon ja nichts mitbekommen.

Zahlreich waren in Glasgow dann die, die bei Smirnow eine Kopf-in-den-Sand-Mentalität konstatierten oder ihm lieber gar nicht mehr glauben wollten.

Die Wada klagt, dass die Kontrolleure in Russland weiter behindert werden

Das Aussortieren fragwürdigen Personals in der russischen Sportspitze, neben dem Minister und dessen Vize mussten weitere Kader gehen, stellte für den Wada-Rapporteur in Sachen Russland, Bob Koehler, immerhin einen wichtigen Reformschritt dar. Koehler sparte aber auch nicht an Kritik. Vor allem bemängelte er, dass Russlands Sportführung die Erkenntnisse des McLaren-Reports weiterhin nicht anerkennen wolle. Und er klagte über aktuelle Behinderungen gegenüber seinen Dopingfahndern. „Es ist ein Mentalitätsproblem. Die einzelnen Sportverbände geben uns nicht oder nur im allerletzten Moment Termine ihrer Wettkämpfe bekannt und geben auch nur unzureichende Informationen über die Aufenthaltsorte der Athleten. Wir können deshalb die Kontrollen nicht wirksam planen“, sagte er. Ein Sonderproblem seien noch die sogenannten „geschlossenen Städte“, in die die Kontrolleure gar nicht hineingelassen werden. „Da kommen nicht einmal russische Bürger ohne Genehmigung herein“, empörte sich Smirnow über die Empörung darüber. Warum russische Sportler in geschlossenen Städten trainieren und sich damit systematisch Dopingkontrollen entziehen, vermochte er aber auch nicht zu erklären.

In Zukunft könnte der Druck, solche Tricks endlich einzustellen, aber größer werden. Die Wada diskutierte auf ihrem Treffen neue Sanktionsmöglichkeiten. Länder mit schwerwiegenden Lücken im Dopingkontrollsystem sollen fortan ganz automatisch von der Teilnahme an WM und Olympischen Spielen ausgeschlossen werden. Und ihnen könnte sogar die Teilnahme an Bewerbungsverfahren für die großen Sportevents verweigert werden. Bis zu diesen Sanktionen ist es noch ein weiter Weg. „Wir müssen erst unsere Juristen bewerten lassen, ob es dazu einer Veränderung des Wada-Codes bedarf oder ob es Extravereinbarungen geben könnte. Aber ich freue mich, dass bei unserer Beratung sich vor allem die Sportverbände und die Athletenvertreter sehr positiv zu solchen Maßnahmen geäußert haben“, meinte Wada-Präsident Craig Reedie.

Das wäre dann mehr als nur eine Lex Russland, selbst wenn die dortigen Vertuschungsmechanismen Auslöser der Debatte waren.