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Sie spielten überall, wo man sie ließ

Jubiläum Die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot feierte ihren 30. Geburtstag in der Volksbühne

Die Kapelle zeigt großen Einsatz Foto: Susanne Schleyer

von Thomas Winkler

Es hob sich der Vorhang zur Hinterbühne. Und da stand er, der Rundfunk-Kinderchor Berlin, und begann vielstimmig zu singen. Dutzende Kinderaugen blickten in den Saal, Kindermund tat Wahrheit kund. Und in manchem gelernten DDR-Bürger stiegen ganz und gar ungute Erinnerungen an den „Kessel Buntes“ auf. „Gegen Kinder darf man ja nichts haben“, zischelte jemand.

Es war nur eine Irritation an diesem an Irritationen nicht eben armen Abend in der Volksbühne, an dem die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot mit einer Gala ihren 30. Geburtstag feierte: Sänger, die ihren Text vergaßen. Sängerinnen, die den Ton nicht trafen. Gratulanten, die sich verhaspelten. Alte Geschichten, die auch heute ohne Pointe blieben. Und ein Jürgen Kuttner, der kein Wort über Chris Dercon verlor.

Dass Kuttner den Abend moderierte, hatte seinen Grund. Der Radiomoderator, Regisseur und einer der lautstärksten Kritiker des designierten Castorf-Nachfolgers, war dabei, als vor 30 Jahren die Kurkapelle gegründet wurde. Er blieb zehn Jahre als Ansager, gescheiterter Waldhornist und Manager, der nach Eigenaussage aber vor allem damit beschäftigt war, jedwede Professionalisierung zu verhindern und Auftritte abzusagen.

Wie das damals aussah, und wie sich die Kapelle und ihre Mitglieder über die Jahre verändert haben, davon vermittelten nicht nur die gewohnt mäandernden Monologe von Kuttner einen Eindruck, sondern auch eine zu Beginn des Abends gezeigte Montage aus Filmschnipseln sowie von Marion Brasch vorgetragene Auszüge aus internen Briefen und Fanpost. So schrieb einst ein Gerald aus Schwedt der Kurkapelle Schwarz-Rot, dass er während eines ihrer Auftritte eine Lebensentscheidung gefällt habe, und sich nun von seiner langjährigen Frau trennen werde. Außerdem habe er beschlossen, schrieb Gerald, „die vergrabenen Gewehre“ wieder auszubuddeln, um die Revolution voranzubringen.

Geralds Aufstand scheint verpufft zu sein, aber es war schon die Revolution, die sich die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot auf die Fahne geschrieben hatte. Aussteiger und Studenten, Künstler und Amateure, Talente und Talentfreie, jedenfalls kaum Profimusiker, hatten sich zusammengefunden mit der Absicht, den damals in der DDR bis zur Groteske vereinnahmten Hanns Eisler zu entstauben und wieder ernst zu nehmen als einen, wie Kuttner sagt, „Jahrhundertkünstler“.

Walzer und Marsch

Ein Querschnitt durch die Ostberliner Boheme hatte sich einst in der Kapelle versammelt, eine Abordnung derer, die anders waren, unangepasst, subversiv und vielleicht sogar ein wenig widerständig. Sie spielten für die FDJ und für Hausbesetzer, in Kirchen, Galerien, Jugendklubs, auf Straßenfesten und überall, wo man sie ließ. Sie spielten nicht nur Eisler und Brecht, nicht nur Arbeiterlieder und Agit-Prop, sondern auch Popsongs oder Folklore, Walzer und Marsch, altes und neues.

Punk war 1986, im Gründungsjahr der Bolschewistischen Kurkapelle, noch nicht lange vorbei. Und auch darum ging es: Einfach machen, sich etwas aneignen, selbst wenn man – drauf geschissen – gar nicht die handwerklichen Fähigkeiten besaß. So konnte man politisch werden, ohne ausdrücklich politisch zu sein. Indem die Band für die 15 Mitglieder stets Hobby geblieben ist, hat sich die Kurkapelle diesen von den Ge­nialen Dilletanten geborgten Ansatz bis heute bewahrt.

Richtig gut spielen können sie mittlerweile trotzdem. Das Blasorchester entwickelt nicht nur Lautstärke, sondern auch Wucht, gelegentlich sogar eine melancholische Kraft. Das war nicht zu überhören im gut gefüllten großen Saal der Volksbühne trotz der gelegentlich erbärmlichen Soundabmischung. Einer Jubiläumsgala angemessen, wurden alle Traditionslinien herausgearbeitet. Immer wieder Eisler, mal kämpferisch, mal poetisch, aber auch die „Rote Liebe“ der Westberliner Punkband Ideal.

Ansonsten war es vor allem amüsant. Jakob Hein las zwei sehr witzige Geschichten vor, Ahne sprach mal wieder mit Gott. Pascal von Wroblewsky fiel bei einem ihrer Beiträge der Abmischung zum Opfer. Und Alexander Scheer kam bei der zweiten Strophe von Ideals „Berlin“ völlig durcheinander. Als die Gala sich schon aufzulösen begann, die Hinterbühne von Tanzenden gestürmt wurde und die Bar von Durstigen, da kamen auch noch Die Couchies zum Gratulieren.

Zuvor hatte die Kurkapelle ein Stück aus einer nordkoreanischen Revolutionsoper gespielt, eingeleitet allerdings von einem auf dem Theremin gespielten und deshalb besonders zittrigen, verwaberten, verunsicherten „Star-Spangled Banner“. Es war ein Nachweis dafür, dass die Gründungsidee so aktuell ist, wie sie es vor 30 Jahren war. Solange sie noch in der Lage ist, solche Irritationsmomente auszulösen, hat die Bolschewistische Kurkapelle Schwarz-Rot ihre Bedeutung – und wird womöglich tatsächlich, wie es Jürgen Kuttner prophezeite, „auch noch den Untergang der Bundesrepublik überleben“.

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