Hintersinnige Frisuren

Ausstellung Der Kunstverein Wolfsburg zeigt Werke von Malte Bartsch. Sie spielen mit Definitionen des Subjekts und absurd produktiver Unproduktivität

Frisieren der legalen Art: Künstler Ai Weiwei rasiert Malte Bartsch für die Selbstversuche aus dessen Serie „Haareschneiden“ Foto: Malte Bartsch/Kunstverein Wolfsburg

Frisieren – das ist so ein schön mehrdeutiger Begriff, wie ihn der Künstler Malte Bartsch liebt. Eine ordentliche Haartracht oder der richtige Look mag in vielen Lebenslagen hilfreich sein. Aber es gibt eben auch die gesetzeswidrige Auslegung: dass etwas frisiert wird, damit Mängel und Schummeleien nicht (sofort) erkannt werden. Dieses Phänomen interessiere ihn gerade an Wolfsburg, sagt Malte Bartsch, wo er in der City Gallery des Kunstvereins derzeit seine erste Einzelausstellung bestreitet. Wie könnte Wolfsburg nach VW aussehen, wenn das ganze Frisieren durch stets gut frisierte Männer nichts genützt hat?

Dafür hat Malte Bartsch, wenn auch keine Lösungen, so doch metaphorische und auch ökonomisch grundierte Ansätze parat. Der 1984 in Braunschweig geborene Bartsch machte zunächst seinen Bachelor in Humangeographie und Wirtschaft in Utrecht. Erst danach studierte er an der HBK Braunschweig: in der Grundlehre bei Michael Sailstorfer, dann freie Kunst bei Bogomir Ecker. 2012 wechselte er an die UdK Berlin, diplomierte bei Olafur Eliasson und schloss dort 2015 als Meisterschüler von Manfred Pernice ab.

Seine bildnerische Strategie, die durchaus einen erweiterten Kunstbegriff seiner Lehrer verinnerlicht hat, ist die absurd produktive Unproduktivität. Das demonstriert etwa seine Zeitmaschine: Drückt man den roten Knopf dieser grauen, an einen Stromzähler oder Sicherungskasten erinnernden Apparatur, erhält man einen Quittungsausdruck, der genau die Zeit der unproduktiven Beschäftigung mit dieser Maschine dokumentiert – als serielles, durchnummeriertes Minikunstwerk, vom Benutzer aktiv mitbestimmt.

Für ein höheres Stadium der Verzweiflung steht dann eine weitere Arbeit: die durch ein Gummiband gefesselte Rakete. Eigentlich assoziiere man mit einer Rakete ja auch positives, so Bartsch, die Utopie von einem Leben an weit entferntem Ort, etwa auf dem Mars, oder das festliche Feuerwerk. Aber die Rakete steht eben auch für die militärische Zerstörung. Und so vernichtet sich seine Silvesterrakete, nach ihrem anfänglichen Höhenflug von der Fessel an den Boden zurückgeholt, dann letztlich an ihrem Startpunktselber, recht dramatisch nach mehrmaligem Aufbäumen. Ein Video dazu lässt sich im Wolfsburger Schaufenster der City Gallery von der Straße aus verfolgen.

Das kleine ehemalige Ladenlokal im Wolfsburger Aalto-Kulturhaus dominiert nun ein umgekehrt unter der Decke schwebendes, orangefarbenes Iglu-Zelt. Es ist mit einem Heliumballon in diese Lage emporgehoben. Auch darin schwingt wieder ein hintersinniger Verweis mit auf die irgendwie aus dem Lot geratene Realität. Wie leben wir – eher kopfüber? Könnte, sollte, müsste nicht alles anders sein? Und was ist überhaupt von stabiler Dauer? Denn es geht eben auch nichts ohne eine zuverlässige Rückverankerung: das Heliumvolumen wird aus einer schweren Gasflasche gespeist, die als massiges Gewicht die genaue Lage des Schwebevorgangs fixiert.

Zum Frisieren wiederum machte Bartsch zahllose Selbstversuche, festgehalten in einer Fotoserie. Er lässt sich von befreundeten Künstler-Kollegen die Haare schneiden. Olafur Eliasson griff schon zur Schere; mit einem eher bildhauerischen Ergebnis durch Manfred Pernice schloss Bartsch sein Meisterschuljahr ab. Und während einer China-Exkursion griff Ai Weiwei zum Rasierer für eine kurze Nahkampftracht.

Neben dem Vertrauen in den Laienfriseur ist es immer auch ein Spiel mit Konventionen, mit unseren verfestigten Kulturtechniken: die Subjektdefinition eines Menschen hängt auch an seiner Erscheinung. Derzeit sind die Haare von Malte Bartsch ziemlich lang und wild. Als nächstes steht deshalb ein Besuch zum Haareschneiden bei seinem ehemaligen HBK-Professor Bogomir Ecker in Düsseldorf an. Auch hier geht er wieder offensiv ran: eine Frisur wächst sich ja aus, so wie auch ein Schüler irgendwann seinen Lehrern entwachsen sein sollte.

Bettina Maria Brosowsky

Malte Bartsch, Still Image: bis 10. Dezember 2016, City Gallery Wolfsburg