Hamburg probiert es auf die radikale Art

SCHULPFLICHTHamburg steckt alle Geflüchteten ab 16 Jahren in einen kombinierten Bildungsgang aus Praktikum und Ganztagsschule. Finden sie danach eine Ausbildung, ist fünf Jahre Aufenthalt gesichert

Mit einem radikalen Ansatz versucht Hamburg, junge Geflüchtete zu integrieren. Sobald sie 16 Jahre alt sind, müssen sie an dem zweijährigen Bildungsgang „Dualisierte Ausbildungsvorbereitung für Mi­granten“ (AVM) teilnehmen. Der beinhaltet neben dem Schulunterricht drei 9- bis 13-wöchige Praktika, die im Wechsel mit der Schule absolviert werden – je drei Tage Ganztagsschule und zwei Tage Praktikum die Woche. Am Freitag zog Schulsenator Ties Rabe (SPD) positive Zwischenbilanz des im April gestarteten Programms. Es sei gelungen, nach den Herbstferien für 1.032 Jugendliche einen Praktikumsplatz zu finden. Dies sei eine „gewaltige Kraftanstrengung“ gewesen.

Insgesamt nehmen derzeit 2.244 junge Geflüchtete in 144 Klassen an 34 Hamburger Berufsschulen an der AVM teil. Die meisten von ihnen – 80 Prozent – sind als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Hamburg gekommen. „Das Angebot ist Pflicht“, sagt Rabe. Für die jungen Leute, die lernen wollten, sei das kein Problem. Nur eine kleine Zahl von 27 „besonders leistungsstarken Jugendlichen“ besucht eine Vorbereitungsklasse, um an einer Oberstufe Abitur machen zu können. Der Großteil nimmt an der AVM teil, die mit Haupt- oder Realschulabschluss endet, und zum Ziel hat, eine Ausbildung zu beginnen.

So wie der 20-jährige Syrer Abdulrahman Almaani, der 2014 nach Deutschland kam und gleich an dem damals gestarteten Pilotprojekt für die AVM teilnahm. Nun lernt er Einzelhandelskaufmann in einem Supermarkt. In dem Markt sei es „richtig nett“, sagt er. „Ich brauche Kontakt zu Menschen, um meine Sprache zu verbessern.“

144 Schüler haben den Pilotjahrgang zu Ende gebracht, knapp ein Drittel hat eine Ausbildung begonnen, die übrigen gehen zur Schule oder werden in Anschlussmaßnahmen auf eine Ausbildung vorbereitet. 64 Prozent erreichten einen Schulabschluss, und etwa ebenso viele lernten so gut Deutsch, dass sie eine Ausbildung beginnen könnten.

Ties Rabe sagt, er sei überzeugt, dass der Kontakt zur Arbeitswelt der bessere Weg ist, um deutsche Sprache und Kultur kennenzulernen, als nur die Schulbank zu drücken. Gleichwohl sei für AVM-Teilnehmer der Bildungsweg zum Abitur weiter offen.

Ein paar der ursprünglich 189 Pilot-Teilnehmer mussten das Land mittlerweile wieder verlassen. Unbegleitete minderjährige Geflüchtete sind vor Abschiebung sicher, nicht aber Schüler, die mit ihren Eltern aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kamen. Schaffen die Jugendlichen es, eine Ausbildung zu machen, sind sie fünf Jahre vor Abschiebung sicher. „Hier greift die drei plus zwei Regelung“, sagt Rabe. Für drei Jahre Ausbildung und zwei Jahre danach dürfe keine Abschiebung stattfinden. „Auch damit der Betrieb die Sicherheit hat, diesen Schritt zu gehen“, sagt Rabe.

„Wer dann mit Ausbildung seinen Lebensunterhalt selber bestreitet, hat eine dauerhafte Bleibeperspektive“, ergänzt Rainer Schulz, Chef des Instituts für Berufliche Bildung, das die AVM durchführt. Wer in Hamburg stattdessen Abitur mache, habe nicht automatisch diese sichere Bleibeperspektive, sagt Schulz. Ein Problem gebe es aber: Hamburg brauche in zwei Jahren viel mehr Ausbildungsplätze. „Da muss sich der Staat was überlegen.“ Kaija Kutter