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BerlinmusikSpirituelle Butter

Falls irgendjemand in hundert Jahren oder so, falls es die Welt noch gibt, auf die Jahre des Deutschpunk ab den 1990ern blicken wird, wird er feststellen, dass eine Spielart des Genres in den folgenden Jahrzehnten besonders blühte: der melancholisch-schrammelige Punkrock, der sich auf Pioniere wie Leatherface in England oder Dackelblut in Deutschland bezieht.

Vielleicht wird er dann auf die Berliner Band Litbarski stoßen. Bei der Recherche fiele ihm auf, dass es damals einen Fußballer ähnlichen Namens gab, der nur ein t mehr hatte. Wenn der Punkforscher dann eine selbstbetitelte 6-Song-EP dieser Band aus dem Herbst 2016 entdeckt, hörte er jenen aufgepeitschten Punk mit treibenden Gitarren, und dazu einen wütenden Mann mit hoher, brüchiger Stimme singen, manchmal auch brüllen. Es muss nicht gerade die gemütlichste Zeit in Deutschland gewesen sein – im Song „Für Else“ Anklänge zur politischen Lage: „Deine verdammte Deutsche Butter / nimmt dir niemand vom Brot / deine ganze öde Scheiße / nichts Dummes ist dir fremd“, heißt es da, ehe Schlagworte wie „Dresden“ und „Hoyerswerda“ folgen. Die meist melodische, zum Teil mit Noise­rock-Kanten versehene Musik und die runtergebretterten Gitarren passen dabei gut zum Gesamtsound, der Gefühle wie Verzweiflung, Angst und Wut in Töne und Worte fasst. Der Musikforscher wird neugierig googeln, was danach aus dem Trio geworden ist. Möge er berichten.

Im Anschluss wird er sanfteres Zeug, Relaxation brauchen, und falls er dann diesen Text hier liest, so sei die Band TAU empfohlen. TAU bestehen aus dem Iren Shaun Mulrooney (Dead Skeletons) und dem venezuelanischen Drummer und Perkussionisten Gerald Pasqualin, die beide in Berlin gestrandet sind. Deren erstes volles Album „TAU TAU TAU“ ist in einer 9-Tage-Session, beginnend mit dem Tag, an dem Bowie starb, aufgenommen worden. Mitwirkende waren Knox Chandler von Siouxsie and the Ban­shees und Earl Harvin von den Tindersticks.

Das Ergebnis sind neun Tracks voller Psychedelik, Ab- und Ausschweifung. Flöten treffen auf Gitarren, Chorgesang, Sufi-Folk, mystische Gesänge und Desert Songs. Die Klänge seien also all jenen nahegelegt, die der Novemberwirklichkeit entfliehen und mittels eines spirituellen Ritts ins bessere Leben galoppieren wollen. Jens Uthoff

Litbarski – s/t EP (Elfenart/Alleiner Threat/Frontcore/Uunundeux), 3. 12., Schokoladen

TAU – „TAU TAU TAU“ (Fuzz Club Records), live: 8. 12., Urban Spree

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