Es fehlen immer noch rund 100 Plätze

Kälte Gestern startete die Kältehilfesaison mit einer unschönen Botschaft: Es gibt keine weitere Steigerungdes Übernachtungsangebots für Obdachlose. Senat und Bezirke sollen bei der Suche nach Objekten helfen

Man muss nur aus dem Fenster gucken, dann gruselt es einen: Der Herbst zeigt den BerlinerInnen die graue und kalte Schulter Foto: Sophia Kembowski/dpa

von Susanne Memarnia

Same procedure as every year: Es ist der 1. November, seit 26 Jahren beginnt an diesem Tag die Kältehilfesaison. Aber anders als sonst können Barbara Eschen, Direktorin der Diakonie, Ulrike Kostka, Chefin der Caritas, an diesem Dienstag nicht eine erneute Steigerung des Übernachtungsangebots verkünden. „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass die Erfolgsgeschichte vom letzten Winter nicht fortgeschrieben werden kann“, beginnt Kostka ihre Ausführungen.

Von Winter zu Winter hatten die in der Kältehilfe vereinten Akteure – die christlichen Wohlfahrtsverbände, Kirchengemeinden, DRK, Gebewo und andere –, mehr Übernachtungsplätze für obdachlose Menschen angeboten, nie hatte es gereicht. Zuletzt hatten in der vorigen Saison bis zu 809 Plätze bereit gestanden – und erstmals war die Auslastung weniger als 100 Prozent gewesen.

Doch in diesem Jahr stünden zunächst nur 550 Plätze zur Verfügung, so Kostka; Ende November, wenn die Stadtmission wieder eine Traglufthalle an der Frankfurter Allee eröffnet, sollen es knapp 700 sein. „Selbst dann fehlen immer noch gut 100 Plätze.“

Der Grund für die „Krise“ der Kältehilfe ist derselbe, der immer mehr Menschen in die Obdachlosigkeit treibt: Der Mangel an günstigen Wohnungen und Häusern. „Es fällt uns Jahr für Jahr schwerer, bezahlbare Immobilien zu finden“, erklärt Kostka und fordert mehr „logistische Unterstützung der öffentlichen Hand“, von Senat und Bezirken, bei der Suche nach geeigneten Objekten. Eschen ergänzt: „Wir appellieren auch an Gewerbetreibende und Immobilienbesitzer: Wenn Sie Leerstand haben, auch nur vorübergehend, geben Sie uns bitte schnell Bescheid.“ – Aber selbst wenn man mehr Plätze hätte: Es sei ohnehin nicht sinnvoll, „die Kältehilfe zum Ausfallbürgen für eine verfehlte Wohnungslosenpolitik zu machen“, so Kostka.

Sie und ihre evangelische Kollegin fordern vom künftigen Senat, endlich etwas gegen den angespannten Wohnungsmarkt zu unternehmen. „Wir brauchen mehr Wohnungen für alle – für Wohnungslose, Geflüchtete, Geringverdiener, für Familien mit Kindern – und zwar schnell“, so Eschen. Zudem fordert sie die rot-rot-grüne Landesregierung auf, überhaupt erst einmal eine Statistik für Wohnungslose einzuführen. Bislang gibt es (anders als etwa in Hamburg) nur Schätzungen über die Zahl der Betroffenen, Eschen geht von 3.000 bis 6.000 für Berlin aus.

Doch es ist nicht nur der leergefegte Berliner Wohnungsmarkt, der den Trägern zu schaffen macht: Es kommen immer mehr EU-Arbeitsmigranten in die Stadt, die hier oft nur temporär, prekär, ohne Vertrag oder gar ausbeuterisch beschäftigt werden und irgendwann in der Kältehilfe „aufschlagen“, wie Ulrike Eschen erklärt. In einigen Kältehilfe-Einrichtungen der Stadtmission machten EU-Ausländer inzwischen rund 70 Prozent der meist männlichen Klienten aus.

Die 27. Saison der Kältehilfe für Obdachlose geht vom 1. November 2016 bis 31. März 2017. Kirchengemeinden, Verbände, Vereine und Initiativen bieten mit viel ehrenamtlicher Hilfe in diesem Jahr 550 Not-Schlafplätze (ab Ende November rund 700).

Die Sozialverwaltung zahlt den Trägern dafür 17 Euro pro Nacht/Platz, nötig wären aber laut Diakonie 25 Euro. Weiter gibt es Nachtcafés, Suppenküchen, Beratungsstellen und medizinische Angebote. Drei Busse sind unterwegs, um Obdachlose zu den Übernachtungsorten zu fahren oder ihnen mit Schlafsäcken und heißem Tee durch die Nacht zu helfen.

Was kann ich tun, wenn ich im Winter eine wohnungslose Person in Not bzw. draußen schlafen sehe? Sprechen Sie sie höflich an und fragen, ob sie etwas braucht. Wenn die betroffene Person Hilfe annehmen möchte, rufen Sie (ab 18 Uhr!) den Kältebus der Stadtmission (01 78/5 23 58 38) oder den Wärmebus des DRK (01 70/9 10 00 42) an. Infos: kaeltehilfe-berlin.de (sum)

Krisen spürbar

Auch in den ganzjährigen Angeboten der Wohnungslosenhilfe spürt man laut Eschen die Folgen internationaler Krisen. Zwar blieben Flüchtlings- und Kältehilfe bislang getrennt – dank einer 24-Stunden-Hotline beim Senat, die Kältehilfe-Einrichtungen schon im vorigen Winter immer anrufen konnten, wenn ein Flüchtling sich zu ihnen verirrte. Aber anerkannte Flüchtlinge, betont Eschen, hätten natürlich wie Deutsche das Recht, in der Not vom Bezirk untergebracht zu werden. Und bei der Gebewo, die unter anderem Wohnheime für Wohnungslose betreibt, machten Menschen syrischer Herkunft inzwischen rund 25 Prozent aus.

Zum Schluss kommt Kostka mit einer neuen Idee, damit sie – wie sie sagt – nicht auch die nächsten 26 Jahre alljährlich das Gleiche erzählen muss. Ausgehend von der These, dass die Grundprobleme der Wohnungslosigkeit in allen deutschen Großstädten die gleichen sind, fragt sie: „Warum lädt Angela Merkel nicht mal zu einem Gipfel gegen Wohnungslosigkeit ins Kanzleramt?“