Die Containerisierung der Stadt schreitet voran. Das Bittere: In den neuen Containern leben Menschen: Die Hülle der Rechtlosen
AM RAND
Klaus Irler
Manche Entwicklungen schreiben sich leise und kontinuierlich in Alltag ein und sind irgendwann so präsent, dass sie gar nicht mehr auffallen. Eine dieser Entwicklungen ist die Verbreitung von Containern im öffentlichen Raum. Lange standen die Container vor allem im Hafen. Mittlerweile gibt es sie überall. Statt Waren beinhalten sie heute Menschen.
Kürzlich hat die Sozialbehörde angekündigt, dass an einer Ausfallstraße in Schnelsen Anfang 2017 ein weiteres Containerdorf für Flüchtlinge entstehen soll – diesmal geht es um 168 Plätze.
In Niendorf wurde gerade neben der Landebahn des Flughafens ein „Ausreisegewahrsam“ eröffnet, in dem bis zu 20 Menschen bis zu ihrer Abschiebung festgesetzt werden können. Das Container-Ensemble ist mit Stacheldraht eingezäunt, der Zaun erhebt sich direkt hinter einem tiefer gelegten Bach. Das Ganze sieht aus wie ein Gefängnis mit Burggraben.
Container stehen am nördlichen Stadtrand auch auf Schulhöfen, weil die Schulgebäude zu klein geworden sind. Sie stehen neben der Verheißungskirche und bieten Obdachlosen ein Winterquartier. Sie stehen neben der Autobahn 7, die eine kilometerlange Großbaustelle ist und sie stehen auf dem Recycling-Hof.
Container sind nicht nur schnell aufgestellt, sie sind auch schnell wieder weg. Im Bereich der Flüchtlingspolitik sollte der Container früher Flüchtlingen und Anwohnern vermitteln: Das hier ist nur vorübergehend. „Vorübergehend“ kann heute auch heißen: jahrelang.
Container sind ein Akt bürokratischer Effizienz: Menschen werden wegorganisiert wie die Ware, die sonst in Containern auf Schiffe verfrachtet wird. Der Kulturwissenschaftler Alexander Klose schreibt, der Container nivelliere die Menschen, „indem er sie seinem Auftrag gemäß als Material umhüllt. Sein indifferentes Hülle-Sein raubt ihnen jede Signifikanz. Man könnte auch sagen, er beraubt sie ihrer Rechte als Angehörige einer bestimmten Gattung, Gruppe et cetera. Deswegen findet im Container als nacktem Behälter das nackte Leben des Flüchtlings seine ideale Umhüllung: Er ist eine Behausung für Rechtlose.“
Aus Sicht von Behörden und der Kirche ist der Container immer noch eine bessere Behausung als das Zelt, der leer geräumte Baumarkt oder die Brücke. Kann man den Container auch positiv sehen? Der Architekturtheoretiker Dieter Hoffmann-Axthelm bezeichnet den Container als „eine Art Urhütte“, nutzbar für die städtische Entwicklung und durch seine Leere ausgestattet mit einem „Sog des Möglichen“. Tatsächlich lässt sich einem Container, eigenschaftslos, wie er ist, mit wenigen Handgriffen eine individuelle Note geben.
Die Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben im Container ist, dass jeder Bewohner genügend Platz hat. In der Realität der Erstaufnahmeeinrichtungen aber ist der Container oft eine bis auf den letzten Quadratmeter ausgenutzte Massenunterkunft, die über längere Zeit kaum zu ertragen ist.
Es gibt Flüchtlinge, die einen leeren Baumarkt einem Containerdorf vorziehen würden, wenn sie etwas zu sagen hätten. Haben sie aber nicht.
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