piwik no script img

Above us only sky

Ein Trip in die hinterletzte Ecke Schottlands führt unverhofft ins Herz von John Lennon. Der verbrachte als Jugendlicher jahrelang die Ferien bei Verwandten in Sutherland. Ein Südland, das nur für die Wikinger, die es so benannten, eines war

Ein 320-Seelen-Kaffam äußersten Ende,wo man nur umkehrenoder sich ersäufen kann

VON FRIEDHELM RATHJEN

No hell below us? Von wegen! Der Eingang zur Hölle ist siebzehn Meter hoch. Jedenfalls wenn die Durchgeknallten Recht haben, die meinen, Odysseus sei bis Schottland gekommen und die Smoo Cave der Schlund des Hades. Eigentlich ist das hier der Arsch der Welt. The higher you fly the deeper you go: wir sind nicht wie die meisten Schottlandreisenden auf der Höhe von Inverness umgekehrt, sondern weitergefahren, so weit es geht.

Das hier ist Sutherland, ein Südland, das nur für die Wikinger, die es so benannten, eines war. Vor 6.000 Jahren machten sich die ersten Siedler in der Smoo Cave breit. Meerseitig ist die äußerste Kammer der größten Kalksteinhöhle Großbritanniens frei zugänglich, a hole in the ocean; der Wasserfall, der hier rauscht, macht die Luft so feucht, wie sie draußen ohnehin ist, flowing out like endless rain. Hinter der ersten sollen noch zwei weitere Kammern liegen, zugänglich per Boot und stockfinster, aber uns ist es draußen duster genug, weiter geht’s also, ein paar Meilen noch bis Durness. Und dann der Schock, verwischt vom Scheibenwischer: „John Lennon Memorial“ lesen wir und treten auf die Bremse.

Als John Lennon neun war, heiratete seine Tante Mater einen gewissen Robert Sutherland, Schotte und Zahnarzt for the national health; alljährlich in den Sommerferien düste der Beatle in spe per Bahn nach Edinburgh zu Tante und Onkel und dann mit der ganzen Sippe weiter nach Durness, wo den Sutherlands eine Parzelle Land und ein Häuschen gehörten, einen Steinwurf über dem sündhaft schönen, aber gruselkalten Strand der Sango Bay. Bis er 17 war, verbrachte John Lennon hier seine Sommer, streunte mit dem sechs Jahre älteren Cousin Stan Parkes durch die Moor- und Felseinöde, kraxelte in den Klippen oder triezte den nächstbesten sheepdog standing in the rain. Also, Beatles-Fans aller Länder, here’s another place you can go.

Durness ist heute, was es zu Lennons Zeit war: ein 320-Seelen-Kaff am äußersten Ende, wo man nur umkehren oder sich ersäufen kann. Oder sich den Zorn des Cape Wrath zuziehen, dessen 280-Meter-Steilklippen nur im Sommer erreichbar sind, wenn eine wackelige Fähre die Querung des Kyle of Durness ermöglicht und ein klappriger Kleinbus für die feuchttraurigen letzten 15 Festlandkilometer seine Dienste anbietet.

Ansonsten hat Durness außer der ebenso wilden wie menschenleeren Landschaft erfreulicherweise keine Attraktionen zu bieten, weswegen man vor drei Jahren auf Lennon verfiel. Damals legte ein BBC-Team für die beliebte TV-Sendung „Beechgrove Garden“ am großzügig dimensionierten neuen Dorfgemeinschaftshaus ein Gärtchen an, in dem es zwar dank des rauen Klimas nicht wirklich üppig wuchert und sprießt (die beiden nördlichsten Palmen der Welt wachsen weiterhin in Scourie dreißig Kilometer weiter südlich), aber gerade deshalb noch Platz für besagtes Lennon-Denkmal blieb. Ein ortsansässiger Bildhauer stellte scherbenähnliche Steinplatten auf, in die Lennon-Songzeilen graviert wurden. Man hätte sich dafür hübsche Zitate vorstellen können, etwa above us only sky (der wolkenwüste Himmel ist hier stets präsent) oder because the wind is high it blows my mind, stattdessen entschied man sich fürs nostalgisch-kitschige In my Life, weil die places I’ll remember sich angeblich auf Durness beziehen. Entscheidend war wohl, dass In my Life als Lieblingsliedchen von Lennons Ex-Frau Cynthia gilt; die Durness-Fraktion ist entschieden anti-Yoko.

Und wir nun also sitting in a Scottish garden waiting for the sun, gepicknickt wird im Nieselregen, schottischer als hier ist’s nirgendwo auf der Welt. Wer nach Flower-Power-Flair sucht, sollte sich vielleicht doch lieber an das Beilnakeil Craft Village am Dorfrand halten, ein seltsames Nebenprodukt des Kalten Kriegs. In den 50er-Jahren baute man hier eine militärische Frühwarnstation, um für den Fall eines Atomschlags ein paar Sekündchen Reaktionszeit gewinnen zu können. Als die Gebäude fertig waren, bestand für dergleichen kein Bedarf mehr, man suchte andere Nutzer, und so zogen hier kunsthandwerkelnde Aussteiger ein. Ihre Pinselstriche haben die Militärbaracken nicht wirklich zu Schmuckstücken machen können, aber die Künstlerkommune besteht nach wie vor, und zumindest der Loch Croispol Bookshop samt Rustikalrestaurant lohnt jeden Besuch.

You don’t know what you’re missing: Sutherland fehlt die Bevölkerung, die es hier einmal gab, die leere Landschaft ist nicht naturgegeben, sondern Ergebnis der berüchtigten Highland Clearances im frühen 19. Jahrhundert, als der Duke of Sutherland 15.000 Menschen auf brachialste Weise vertrieb, um Platz für die Schafzucht zu schaffen. Auch in Durness erschien damals ein Sheriff mit dem Vertreibungsbefehl. Er hatte es so abgepasst, dass die Männer des Dorfs gerade bei der Ernte waren, aber nicht damit gerechnet, dass auch Frauen Widerstand leisten können: sie umklammerten sein Handgelenk und hielten seine Faust über ein Feuer, bis der Beamte sein Papier in die Flammen fallen ließ.

Zu Zeiten, als John Lennon in Durness seine Ferien verbrachte, hätte es solcher Zivilcourage wieder bedurft, denn weit im Osten dieser Küste bei Thurso begann man 1955 mit dem Bau der Atomanlage Dounreay: zwei schnelle Brüter, ein Testreaktor und eine Wiederaufbereitungsanlage verseuchten mit diversen Leckagen die London-ferne Landschaft, bis die Labour-Regierung 2001 die endgültige Stilllegung anordnete. Seither ist cleanup time, auch wenn die Atomenergiebehörde derzeit „50 years of forward thinking“ feiert: bis 2036 soll die Anlage fast vollständig abgebaut sein. Die Zeitbomben der unterirdischen Endlager ticken weiter, also doch hell below us.

Man hätte es wissen können, wird doch einem gewissen Donald, seines Zeichens Laird of Reay und damit Namensgeber der Atomschmiede, eine Begegnung mit dem Teufel nachgesagt, ausgerechnet in der Smoo Cave. Der Laird kam mit dem Leben davon, büßte jedoch seinen Schatten ein.

Als John Lennon ein letztes Mal in Durness war, drohte ihm ganz anderes Ungemach. Baby you can drive my car – nicht ohne Grund ließ der working class hero sich in seinem Rolls-Royce stets von einem Chauffeur fahren, doch 1969 mietete er sich einen Austin Maxi, lud Yoko Ono und die beiderseitigen Kinder ein und brauste eigenhändig nordwestwärts, um seiner neuen Flamme zu zeigen, wovon er immer noch schwärmte. Es wurde ein Desaster. Tante Mater gefiel weder die Jesusmatte noch der Rauschebart noch „die Asiatin“, wie Yoko Ono in Schottland seither heißt. Und Lennon, nicht nur eine blinde Eule, sondern auch ein lausiger Autofahrer, kam mit den Ausweichstellen der einspurigen old dirt road nicht zurecht: als ihm am Loch Erribol jemand entgegenkam, packte ihn die Panik, und eine Rolle seitwärts in den Straßengraben war die Folge. Ausgerechnet Ringo musste als Vertretung bei der Veröffentlichungsfete von Give Peace a Chance für Lennon einspringen, der im Krankenhaus lag. Seiner Schwärmerei für Schottlands Norden tat das keinen Abbruch; noch 1980, kurz vor seinem Tod, wollte er das Häuschen der Sutherlands in Durness kaufen, reichte sein Gebot jedoch zu spät ein. Aus Amerika ließ er verlauten, er vermisse Schottland mehr als England. Und schon zu Beatles-Zeiten hatte er jahrelang dem Kollegen McCartney von seinen frühen Trips somewhere far, far away vorgeschwärmt, bis Paulchen sich selbst ein schottischen Anwesen kaufte, weiter im Süden, am Mull of Kintyre; besungen hat Paule jene Gegend schließlich in einem der scheußlichsten Machwerke, die je ein Ex-Beatle verbrochen hat. Da war er allerdings längst wieder weggezogen, nach Sussex, wo er hingehört. Nordwestschottland verhält sich nämlich zu Südostengland wie Lennon zu McCartney. But I’ll be back again.

www.durness.org

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen