: Hafencity sagt Hallo
Unterkunft In der Hafencity ziehen 100 Geflüchtete in eine neue Folgeunterbringung –und werden von den Anwohner empfangen. Das Beispiel am Baakenhafen zeigt auch, wie sich ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingshilfe professionalisiert hat
von Annika Lasarzik
Ein letzter prüfender Blick, dann steht das Zelt. Tanja Heine nimmt einen großen Schluck Tee aus der Tasse, die ihr gerade ein Helfer herübergereicht hat. Momente der Ruhe gibt es an diesem Tag nicht oft: „Es ist so viel zu tun, jetzt geht alles erst richtig los“, sagt die zierliche Frau, die eine neongelbe Arbeitsjacke trägt. Heine ist die erste Vorsitzende des Vereins „Flüchtlingshilfe Hafencity“, der heute einen „Welcome-Tag“ vor der gerade neu gebauten Folgeunterkunft am Baakenhafen veranstaltet.
Für die 25 Helfer vor Ort heißt das: Kaffee kochen, Räume einrichten, Zelte aufbauen. Und vor allem, „den Neuen Hallo sagen“, wie Heine sagt. „Die Neuen“, das sind rund 100 Geflüchtete, die am Morgen aus Erstaufnahmeeinrichtungen hergefahren wurden und nun in die Anfang Oktober eröffnete Folgeunterkunft ziehen – vorübergehend: Ende 2019 soll die Unterkunft Neubauwohnungen weichen. Eine Flüchtlingsunterkunft, ausgerechnet hier? Bisher war der östliche Teil der Hafencity vor allem eine große Sandwüste. „Mein erster Gedanke war: Das ist viel zu weit weg“, sagt Heine. Zwar seien es bis zur nächsten U-Bahn-Station nur 10 Minuten Fußweg, abseits des Wohnviertels liege die Unterkunft aber isoliert.
528 dunkelgrüne Container stehen am Baakenhafen, immer drei aufeinandergestapelt, allesamt schallisoliert. Das Ensemble erinnert an ein Dorf: Ein paar schmale Wege verbinden die Containerstapel, in der Mitte liegt ein Innenhof mit Fahrradständern. Von den Elbbrücken ist die Unterkunft gut sichtbar.
Standort mit Symbolkraft
Ein Prestigeobjekt für den Senat, das signalisieren soll: Ganz Hamburg nimmt Flüchtlinge auf, kein Viertel wird ausgespart –auch nicht der Stadtteil, der am meisten mit Prestige verbunden wird. Tanja Heine, die seit neun Jahren in der Hafencity lebt, ärgert diese Außenwahrnehmung: „In der Hafencity leben nicht nur Bonzen, die unter sich bleiben wollen, außerdem ist der Stadtteil lebendiger, als viele denken“, sagt sie. Als die Hafencity Hamburg GmbH im Februar die Pläne für die Unterkunft präsentierte, habe es keine kritischen Stimmen gegeben, ergänzt Frank Mehlin von „Flüchtlingshilfe Hafencity“. Bemerkenswert sei das – immerhin kämen auf 2.000 Hafencity-Bewohner nun 712 Flüchtlinge.
Ein halbes Jahr haben die Ehrenamtlichen Tipps bei anderen Initiativen eingeholt, Spenden gesammelt. Heute organisiert sich der Verein in zehn Arbeitsgemeinschaften, zählt 80 Aktive, in der Unterkunft haben Helfer einen eigenen Trakt mit Büroräumen bezogen. Das Beispiel Hafencity zeigt auch, wie sich ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingshilfe professionalisiert hat.
Die Helfer loben die Zusammenarbeit mit den Behörden. Der Stadt kommen die schönen Bilder von Ehrenamtlichen, die Geflüchtete mit bunt bemalten Plakaten begrüßen, nicht ungelegen: Die horrenden Kosten für die Folgeunterkunft sorgten vorab für Diskussionen.
Ganze 24 Millionen Euro ist die Unterkunft nach Auskunft des Zentralen Koordinierungsstabs Flüchtlinge teuer. Wie kann das sein? Größer Posten sind mit 16 Millionen Euro die Container. 800.000 Euro kommen für die Herrichtung der Anlage hinzu, 2,6 Millionen Euro fallen an für Baunebenkosten wie Hochwasserschutz, 800.000 Euro kosten Außenanlagen, 360.000 Euro die Einrichtung der Container. Dazu kommt ein Puffer von zwei Millionen Euro, der bei „allen Bauunternehmungen in Hamburg“ normal sei, erklärt die Sprecherin des Koordinierungsstabes, Christiane Kuhrt. „Die Kosten pro Platz bewegen sich im Durchschnitt neuerer Einrichtungen.“
Rückzugsorte für Frauen
Die Helfer selbst sehen die Kostenfrage gelassen. „Das Gelände wurde nach Blindgängern abgesucht, aufgeschüttet, hochsicherfest gemacht. Bevor hier Wohnungen gebaut werden, wäre das ohnehin nötig gewesen“, findet Frank Mehlin von der „Flüchtlingshilfe Hafencity“. Zu luxuriös sei die Unterkunft nicht. Trotzdem investiert der Verein: Die »Domo-Zelte«, welche die Helfer auf einer freien Sandfläche vor der Unterkunft aufbauen, sollen Frauen und Kindern als Rückzugsorte dienen und werden durch Spendengelder finanziert.
„Die zusätzliche Ausstattung mit Zelten würde unsere Zuständigkeit verlassen“, sagt Yvonne Ehnert vom städtischen Unterkunftsbetreiber „Fördern und Wohnen“. Die Helfer haben sich nun das Ziel gesetzt, Anwohner und Geflüchtete zusammenzubringen. Gerade für Kinder und Jugendliche seien Kontakte wichtig, sagt Frank Mehlin. Das Problem ist nur, dass alle Plätze in den vier Kitas der Hafencity belegt sind, nun wird laut Hafencity GmbH eine temporäre Kita am Lohsepark mit 70 Plätzen eingerichtet.
Mehlin findet das nicht gut. Die zugezogenen Kinder sollten nicht unter sich bleiben. Auch ältere Kinder müssen ausweichen: Grundschulkinder besuchen Vorbereitungsklassen in der Neustadt und Rothenburgsort und sollen dafür einen Bus-Shuttle nutzen, eine Integration in „Stadtteilschulen und Gymnasien der Umgebung“ sei zwar vorgesehen – welche Schulen das sein könnten, ist aber noch unklar.
Tanja Heine blickt auf die umliegenden Baustellen. „Im Viertel wird viel gebaut, da sollten auch Wohnungen für Flüchtlinge eingeplant werden“, sagt sie. Wäre das eine Option? Hafencity-Sprecher André Stark gibt sich zumindest offen: wenn Flüchtlinge nur die Zugangsvoraussetzungen erfüllen.
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