PRESS-SCHLAG Gar nicht so einfach: die Suche des FC Bayern München nach einem neuen Gleichgewicht: Die Tücken der Freiheit
Es bewegt sich etwas in der Bundesliga. Das liegt hauptsächlich am Spannungsabfall in der Mannschaft des FC Bayern München. Das Team hat die Aura der Unbesiegbarkeit verloren. Dieser Spannungsabfall bewirkt, dass plötzlich wieder Spannung herrscht in der Bundesliga. Nun steht nicht mehr automatisch fest, dass die Münchner gewinnen und man sich nur noch fragt, wie viele Löcher sie denn diesmal ins Tornetz schießen. Das Fußballspiel hat seine Basis wieder, seine Grundvoraussetzung. Denn warum ist ein Match interessant? Weil man vorher nicht weiß, wie’s ausgeht.
Die Bayern leben derzeit oftmals nur von den genialen Momenten Einzelner, einem grandiosen Dribbling von Arjen Robben oder einem wunderbaren Pass von Thiago. Aber sie laufen zu wenig, ihre Chancenverwertung ist miserabel im Vergleich zu anderen, der Hertha etwa, und sie legen zu wenig Wert auf eine Variable, die in dieser Saison entscheidend sein könnte: die Lust auf Zweikämpfe. RB Leipzig macht es vor. Die Leipziger führen die meisten Zweikämpfe in der Liga. Sie gehen dem Gegner auf den Geist. Die Bayern dagegen leiten aus der Überlegenheit in der Vorsaison eine Suprematie in der Gegenwart ab – das hat noch nie funktioniert.
In der Ära des Pep Guardiola war der FC Bayern ein Fußballlabor, im Grunde eine Sekte, die dem Pepismus frönte. Die Motivation unter den Jüngern war trotz einer hohen Frequenz an Spielen stets hoch. Auf die außerordentlichen Fähigkeiten der Spieler pfropfte sich das Sendungsbewusstsein und die taktische Finesse von Guardiola auf. Jeder Spannungsabfall wurde penibel registriert und von Leuten wie Matthias Sammer, dem Beauftragten für Spannungsmessung, angemahnt. Bayern arbeitete im Modus höchster Leistungsbereitschaft. So etwas schlaucht. Es ist anstrengend. Irgendwann geht die Luft aus, irgendwann wollen die Spieler nicht mehr nur dem Befehl von Zuchtmeistern folgen, sondern von empathischen Menschenfreunden.
Die Wellenbewegungen hat es beim FC Bayern immer gegeben. Auf den anstrengenden Louis van Gaal folgte der verträgliche Jupp Heynckes, auf den getriebenen Pep Guardiola folgte Carlo Ancelotti. Über ihn hat Paolo Maldini einmal geschrieben, dass er ein „sympathischer Chaot“ sei. Vor einem wichtigen Spiel spreche der Genussmensch Ancelotti zum Beispiel über eine seiner Leibspeisen, Bollito misto, „und wir gehen raus und gewinnen, weil wir locker drauf sind“. Der Übergang von Lässigkeit zu Nachlässigkeit ist aber fließend. Der FC Bayern hat erkennbar sein Gleichgewicht noch nicht gefunden. Intern wundern sie sich, dass Ancelotti die Spielvorbereitung in 15 Minuten abhakt, während Guardiola schon mal locker über eine Stunde brauchte, um, im übertragenen Sinne, Rasenschach mit grünfeldindischer Eröffnung zu lehren.
Unter Pep Guardiola offenbarte sich auf dem Platz die Intelligenz des Trainers, im jetzt freieren Spiel der Bayern zeigt sich eher die Intelligenz der Mannschaft. Ohne den Bayern-Profis zu nahe treten zu wollen, aber den Pep’schen Spiel-IQ von 140 erreichen sie (noch) nicht. Carlo Ancelotti ist aber bestimmt schlau genug, mit lockeren Sprüchen gegenzusteuern. Wie wäre es mit ein paar Pizza-Anekdoten? Markus Völker
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