: Gorillas und Fleischfresser
Zukunft Möchtegernidealismus trifft auf Gentechnologie: In ihrem Buch „Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen“ sieht die Autorin Emma Braslavsky der Menschheit kunstvoll beim Scheitern zu
von Nina Apin
Da sitzt der deutschargentinische Bunkerarchitekt Jivan Haffner Fernández im angesagtesten Veganrestaurant Berlins und isst mit demonstrativem Genuss in Rosenblätter gewickelte Safranstäbchen. Dass er sich eben noch im Onlinepoker verzockt und die nicht vegane Ledertasche draußen im Gebüsch verbuddelt hat, braucht ja keiner zu wissen. Nicht das Führungsduo der Tierrechtsorganisation Animal Rights und nicht seine Frau Jo, die unbedingt deren PR-Beraterin werden will. Jivan wiederum ist geradezu krankhaft fixiert auf seine Frau, genauer gesagt auf ihren Körper. Ihr zuliebe schwafelt er von Einhorn-Kampagnen und selbstbewussten Hunden. Nur die subkulturgestählte Aktivistin Kim durchschaut die Gutmenschenshow des Fleischfressers. Beim Dessert fragt sie: „Riechst du nach Döner, sag mal?“
Absurd. Komisch. Detailreich ausgestaltet wie ein Wes-Anderson-Film: Die Restaurantszene setzt den Ton für die folgenden 456 Seiten, auf denen Emma Braslavsky der Menschheit beim Scheitern zusieht. Unter ihrem scharfen Blick gehen die Figuren ihrem Treiben nach: den Planeten retten, die Zukunft der Menschheit neu denken, den Lebenssinn suchen. Oder, wie in Jivans Fall: Sex mit Jo haben, Brandy trinken, die Pleite abwenden.
Interessanterweise sind es in dem Roman „Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen“ zwei Ehepaare, die entscheidend die Handlung vorantreiben. Da ist das kleine Nichtglück von Jivan und Jo, erzählt aus wechselnden Perspektiven. Während die Möchtegernidealistin Jo mit ihre Karriere das letzte Geld ihres Ehemanns verbrennt, stirbt Jivans steinreicher Vater Láutaro. Sein letzter Wille legt offen, dass die Ehe der beiden ein Missverständnis ist.
Nachkommen zu zeugen, die, von ihren genetischen Fehlern befreit, der Menschheit eine zweite Chance geben, ist die genuin größenwahnsinnige Mission von Natalie und Jakob Oppenheim. Das Forscherpaar hat einen Weg gefunden, aus Haaren menschliche Keimzellen zu generieren, und kreiert aus reprogrammierten Basenpaaren einen Newman. Seine Heimat soll eine neu entdeckte Insel sein. Auf diesen Sehnsuchtsort einer nervösen Zivilisation beginnt ein Run, inklusive Schiffbruch und Abenteuer.
Ein Wunderkind
„Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen“ ist zuallererst ein großer Lesespaß. Außerdem verdichtet sich in der vielschichtigen Story ein staunenswert breites Weltwissen. Braslavskys Faible für Biotechnologie und Philosophie erinnert an die Romane eines Dietmar Dath, ihre Fähigkeit, die Absurditäten unserer Zeit zu karikieren, lässt an David Foster Wallace denken: Die Gorillamasken tragende „Bruderschaft der falschen Gorillas“ kann es locker mit den rollstuhlfahrenden „Assassins des Fauteuils Rollents (A.F.R.) aus „Unendlicher Spaß“ aufnehmen.
Auch Science-Fiction-Klassiker wie Stanislaw Lems „Solaris“ klingen an; in die Figur Roana Debenham, blutjunge Austrägerin des „neuen Menschen“, mag man Bezüge zu der feministischen US-Autorin Marge Piercy hineinlesen. Und wie ein guter Hausgeist taucht im Buch immer wieder Jorge Luis Borges auf, dessen Methode des magischen Realismus sich Braslavsky erkennbar nahe fühlt.
Trotz des hyperaktiven Eklektizismus wirkt der Roman nicht zusammengestückelt, sondern eigenwillig im besten Sinn. High and Low, Humangenetik und Aussteigerromantik, Kabbala-Mystik und Gossensprache – daraus komponiert die 1971 geborene Autorin eine Hyperrealität, die sich am konsistentesten in den Briefings der fiktiven Nachrichtenagentur zeigt:
„Brüssel/Lublin. Die UNRIC begrüßt den zehnmilliardsten Menschen auf der Erde, der heute im polnischen Lublin geboren worden ist. […] Rio de Janeiro. Wie aus dem heute veröffentlichten Bericht des Weltklimarats hervorgeht, verlagern sich durch die globale Erwärmung die warmen Meeresströmungen und Sturmfronten. […] Dresden. Der ‚Dresdner Stollen‘ ist auf der diesjährigen Gastronomieweltausstellung zum Weltkuchen des Jahres gekürt worden. Ein besonderer Glückwunsch kam aus dem Kanzleramt.“
Braslavsky soll ein Wunderkind gewesen sein, das mit vier lesen konnte, nach zwei Klassen aufs Gymnasium wechselte. Heute kuratiert sie, schreibt und produziert Hörcomics. Beruhigend, dass ihr auch mal ein gewöhnlicher Kalauer durchrutscht: „Wenn du den Kopf in den Sand steckst, bleibt noch dein Hintern zu sehen“ – mit dem Spruch garniert die Autorin ihre Website.
Emma Braslavsky: „Leben ist keine Art, mit einem Tier umzugehen“. Suhrkamp, Berlin 2016, 456 Seiten, 24 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen