Zahnarzt statt Brötchenbäcker

Angestellt Seit knapp drei Jahren ist der syrische Zahnarzt Anas Al Aloah jetzt in Berlin. Und seit Anfang der Woche hat er auch eine Arbeitsstelle

Selfie am Arbeitsplatz Foto: privat

Anas Al Aloah strahlt, ja, er vibriert geradezu vor Freude – und schweigt. Das ist ziemlich ungewöhnlich für den sonst sehr wortgewandten Syrer, der schon richtig gut Deutsch spricht. Doch jetzt fehlen ihm die Worte, um zu beschreiben, was er gerade erlebt hat. Er hat seinen ersten richtigen Arbeitstag in Deutschland hinter sich.

Täglich wird er von nun an in einer Zahnarztpraxis arbeiten, erst als Gehilfe, demnächst als Assistenzzahnarzt. Nach zwei Jahren kann Al Aloah dann die Prüfung machen, die ihm die Gleichwertigkeit seiner Qualifikation mit der in Deutschland ausgebildeter Zahnärzte bestätigt: das Happy-End einer langen Fluchtgeschichte, die nicht immer so glücklich gelaufen ist.

Im Juni 2014 hatte die taz erstmals über den syrischen Zahnarzt und seinen Freund Mahran M., ein Anästhesisten, berichtet. Den zwei jungen Ärzten drohte damals die Abschiebung. Der Grund: Sie waren mit einem EU-Visum der französischen Botschaft aus Jordanien nach Berlin gekommen. In der jordanischen Hauptstadt Amman hatten sie nach ihrer Flucht aus Syrien im Jahr 2012 für internationale Hilfsorganisationen gearbeitet. Sie unterstützten die Aufständischen gegen den syrischen Präsidenten Baschar al Assad mit medizinischen Hilfsgütern. Das hatte zu Problemen mit den jordanischen Sicherheitsbehörden geführt und so Ende 2013 die weitere Flucht nötig gemacht.

Die deutschen Behörden aber wollten die beiden jungen Ärzte nach Frankreich abschieben – da sie in der französischen Botschaft französischen vor deutschem Boden betreten hätten. Sechs Monate Warten und Bangen bedeutete das für die beiden – so lange ist die Frist, die Deutschland für die Abschiebung hat.

Abgeschoben wurden Al Aloah und sein Freund am Ende nicht, stattdessen als asylberechtigt anerkannt. Für den 31-jährigen Zahnarzt hieß das: Er konnte seine Frau und seine zwei Töchter endlich aus Jordanien nach Deutschland holen. Doch mit dem Übergang in die Fürsorge des Jobcenters begannen auch neue Probleme. „Die Sachbearbeiterin dort kannte Fälle wie meinen einfach nicht“, meint er heute – Mediziner sind selten Kunden der Jobcenter. Hospitationen in Zahnarztpraxen, die er sich selbst suchte, wollte sie nicht genehmigen, da das Gesetz dies für Hartz-IV-Empfänger nicht vorsähe. Um die Übernahme von Übersetzungskosten für die syrischen Dokumente, die seine Qualifikation belegen, musste er immer wieder kämpfen. „Wenn es nach ihr gegangen wäre, würde ich heute in einer Bäckerei jobben“, meint der Zahnarzt.

Neues Jobcenter

Der Umzug aus der Flüchtlingsunterkunft, wo die Familie die ersten sechs gemeinsamen Monate in Deutschland verbrachte, in eine eigene Wohnung in Neukölln brachte Al Aloah dann auch beim neuen Jobcenter Glück: Die Sachbearbeiterin dort unterstützte ihn und seine Arbeitssuche – vielleicht auch, weil die Jobcenter mit speziell geschultem neuen Personal mittlerweile besser auch auf hochqualifizierte Flüchtlinge vorbereitet sind. Im Juli konnte Al Aloah einen sechsmonatigen Vorbereitungskurs für die Anerkennungsprüfung als Zahnarzt abschließen, den nötigen Fachsprachtest bestand er mit Bravour. Um eine Stelle als Assistenzarzt zu finden, führte er Bewerbungsgespräche in Berlin, Bremen und Niedersachsen: „Das Jobcenter hat dafür sogar die Fahrt- und Übernachtungskosten übernommen!“

Nun hat der junge Zahnarzt, der in Damaskus studiert hat und in seiner südsyrischen Heimtstadt Daraa schon eine eigene Zahnarztpraxis hatte, sein wichtigstes Ziel erreicht – und endlich auch die Sprache wiedergefunden. „Alles war einfach super!“, fasst er seinen ersten Arbeitstag zusammen. Der Chef habe ihn freundlich aufgenommen, die neuen Kolleginnen und Kollegen seien sehr nett. „Dabei habe ich mir vorher Sorgen gemacht“, erklärt Al Aloah: „Zum Beispiel, dass ich etwas nicht gleich verstehe, wenn Patienten oder der Chef schnell sprechen.“ Aber sein neuer Arbeitgeber habe ihn beruhigt: „Ich müsse nicht gleich alles hier können und verstehen, hat er mir gesagt. Das könne kein Zahnarzt, der neu in eine Praxis komme, auch kein deutscher. Und er hat gesagt: Ich lerne schnell!“

„Die Sachbearbeiterin des ersten Jobcenters kannte Fälle wie meinen einfach nicht.“

Anas Al Aloah

„Pudelwohl“ fühle er sich in Deutschland: Das hat Al Aloah schon gesagt, bevor er eine Stelle gefunden hatte. Für ihn steht fest: „Unsere Zukunft ist hier.“ Seine Töchter, drei und vier Jahre alt, besuchen seit einem Jahr die Kita: „Die Große spricht schon gut Deutsch!“ Seine Frau, angehende Internistin, wird bald mit dem Ärztekurs beginnen.

Nur eins fehlt dem Zahnarzt noch: Er möchte seine Mutter nach Deutschland holen. Die 63-jährige frühere Schulleiterin ist auch aus Syrien nach Jordanien geflüchtet und lebt dort nun allein. Mit dem ersten Arbeitstag kommt er seinem Wunsch näher: Wenn er genug Geld verdient, darf er auch sie zur Familie holen.

Alke Wierth