Die Vorbeifahrt

BUNDESLIGA Beim Aufeinandertreffen von VfL Wolfsburg und RB Leipzig wird deutlich: Die Firmenklubs sind in unterschiedlichen Richtungen unterwegs

Es funzt nicht mehr: Coach Hecking begutachtet Draxler Foto: imago

aus Wolfsburg Peter Unfried

Am Himmel über der VW-Arena leuchtete der Vollmond. Und drunten auf Erden heulten die Wölfe. Oder sollte man genauer sagen: Sie spielten beim 0:1 gegen RB Leipzig zum Heulen? Das trifft es nicht so ganz, aber offenbar ist der Moment da, wo man die Gesamtentwicklung in Frage stellt. Das bedeutet auch in Wolfsburg: den Trainer. Dieter Hecking. Die Zukunft könne „mit dem Trainer sein oder irgendwann auch ohne ihn“, hatte Clubchef Klaus Allofs direkt nach Spielende gesagt. Das ist zwar faktisch immer so. Aber nicht bei ihm. Allofs hat in all seinen Managerjahren noch nie einen Trainer entlassen.

Allerdings handelt es sich hier nicht nur um einen verkorksten Saisonstart mit einem Sieg aus sieben Spielen. Der VfL Wolfsburg hat im Kalenderjahr aus 24 Partien 25 Punkte geholt. Von der Tribüne aus betrachtet sieht es nicht so aus, als stehe das Team unmittelbar davor, eine Aufholjagd zu starten. Es liegt nicht am Kampf, auch nicht daran, dass die Profis es an Willen fehlen lassen. Es fehlt am Hebel. Die einen wissen nicht, was sie tun sollen. Und die anderen wüssten es, aber kriegen es nicht hin.

Nachdem Allofs Ende 2012 Geschäftsführer geworden war und Hecking aus Nürnberg geholt hatte, schien die ökonomisch privilegierte VW-Tochter VfL auf dem unaufhaltsamen Weg nach oben. Der Antishowman Hecking führte den abstiegsbedrohten VfL über Platz 11 und Platz 5 zur Vizemeisterschaft und zum DFB-Pokalsieg 2015. Dabei entwickelte er einen dominanten Ballbesitzfußball, gemixt mit überfallartigem Konterspiel. Der Bruch kam mit dem Verkauf von Kevin De Bruyne. Es war einerseits ein Beleg, dass der VfL nicht nur viel Geld ausgeben kann, sondern auch erwirtschaften. Doch der als Ersatz von Schalke geholte Julian Draxler kann diesen Verlust nicht kompensieren. Dem VfL-Fußball fehlt der Speed, das Überraschungsmoment, der Killerinstinkt. Aus Tempo-Ballbesitz wurde mühsame Ballverschleppung. Man hat durchaus Ordnung und auch ordentliche Phasen, aber ein überzeugendes Spiel gab es bisher nicht. Dann kommt noch eins zum anderen. Mario Gomez braucht Zeit. Und Fußballer mit Spezialqualitäten wie Rodriquez und Gustavo haben sich zurückentwickelt.

So kann das Spiel vom Sonntag möglicherweise eine historische Begegnung gewesen sein, in dem sich zwei Unternehmensclubs neuen Typs begegneten, die in unterschiedliche Richtungen unterwegs sind. Vor nicht mal anderthalb Jahren schien Wolfsburg den BVB als Nummer 2 abzuhängen. Und RB war in der 3. Liga. Nun scheint es möglich, als würde die sieben Jahre alte Red-Bull-Erfindung sich bereits in der ersten Ligasaison hinter den Spitzenteams positionieren.

RB spielt nicht wie ein Aufsteiger, das ist das Frappante. Das Team hat ein Selbstbewusstsein, das auf das Vertrauen in den eigenen Spielplan basiert. RB läuft den Gegner mit seinem Rangnick-Pressing müde, auch geistig, und legt dann noch eine Schippe drauf, bis die tödlichen Fehler im Aufbauspiel oder der Rückwärtsbewegung sich einstellen. Emil Forsberg nutzte einen davon zum Siegtreffer (70.), und vergab zudem noch einen Strafstoß. RB-Trainer Ralph Hasenhüttl redete in Wolfsburg nüchtern, aber auch wie der Coach eines Topteams, den ein Außenseiter zwar eine Stunde lang fordert, der dann aber seine Klasse durchsetzt.

Wie weit kann das tragen? Schon werden Vergleiche mit dem Durchmarsch des letztjährigen Premiere-League-Meisters Leicester laut. „Wir sind dabei, unsere Limits zu suchen“, sagt Hasenhüttl. Rudi Völler, Manager von Bayer Leverkusen, sagt: „Für uns ist das schon ein bisschen beängstigend.“ Er sah bisher Wolfsburg als direkten Konkurrenten um die Champions-League-Plätze. Nun nicht mehr. Aber: Bis zur Kaderqualität von Bayern und BVB ist es für RB noch ein Stück.

Was Dieter Hecking angeht, so hat er im Gegensatz zu seinem Team nach dem Spiel eine überzeugende Vorstellung abgeliefert. Die Fragen nach der angeblichen Distanzierung durch seinen Chef Allofs hat er alle ernsthaft beantwortet, ohne sich angreifbar zu machen. Die Frage ist ja auch, welchen Trainer man derzeit kriegen könnte, der die Kurve kriegt, um die stockende Stil- und Identitätsentwicklung des Clubs weiterzubringen. Sicher ist eines: Am kommenden Wochenende spielt der VfL in Darmstadt.