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Schwarz, weiß, hyper, meta

BühneAm Deutschen Theater ist Goethes „Iphigenie auf Tauris“ mit superpessimistischem Gesamtkonzept zu sehen

Iphigenie (Kathleen Morgeneyer) und Pylades (Camill Jammal) Foto: Deutsches Theater

von Katharina Granzin

Alles ist schwarz. Der Szenenhintergrund ebenso wie der offene schwarze Kasten, der fast den gesamten Bühnenraum einnimmt und als ein zweites erhöhtes Podium fungiert. Schwarz auch die paar Stühle, die herumstehen. Es ist ein offensiv karges, neutrales Bühnenbild, das die Premierenbesucher von Ivan Panteleevs Inszenierung des Goethe’schen Versdramas „Iphigenie auf Tauris“ am Deutschen Theater begrüßt. Absolut nichts weist darauf hin, welch eine Art von Stück wohl gleich gespielt werden wird in all diesem Schwarz.

Dann betritt eine Frau im weißen Kittelchen das obere Kastenpodium. Es ist die Schauspielerin Kathleen Morgeneyer, die einen weißen Farbeimer in der Hand trägt und eine große Malerrolle. Wortlos beginnt sie, mithilfe der Rolle den Boden des Podiums zu streichen, während gleichzeitig vier weitere Personen die Bühne entern. Alle sind schwarz gekleidet und ihrerseits bewaffnet mit Anstreicher­utensilien. Kurz darauf haben die fünf DarstellerInnen alle erreichbaren Oberflächen des vormals schwarzen Bühnenraums gründlich mit weißer Farbe bedeckt, bekleckst, beschmiert. Der Mensch hat sich, auf seine eigene, unvollkommene Weise, seine Bühne geschaffen.

„Iphigenie auf Tauris“ ist ein eloquentes Dialogstück, in dem Goethe anhand des antiken Stoffes Fragen nach der ethischen Unabhängigkeit und Moral des modernen Menschen stellt. Die Götter sind noch nicht tot, doch sich auf sie zu verlassen ist nicht immer eine gute Idee. Iphigenie lebt als Diana-Priesterin im Land Tauris, faktisch als eine Verbannte, da ihr eigener Vater Agamemnon sie auf dem Altar Dianas hatte opfern wollen. Durch ihr priesterliches Wirken hat Iphigenie sich Ansehen in Tauris erworben, vor allem beim König Thoas, der sie heiraten will. Doch die Heimwehgeplagte will sich nicht durch eine Ehe noch stärker an das fremde Land binden, wie sie ihm erklärt. Thoas, in seiner männlichen Ehre gekränkt, droht im Gegenzug damit, eine Landessitte wieder einzuführen, die unter Iphigenies Einfluss abgeschafft wurde: das Menschenopfer Fremder, die an TaurisKüsten landen. Thoas’ Ankündigung wird zur unmittelbaren, konkreten Bedrohung, als zwei Griechen in Tauris auftauchen, die sich als Iphigenies Bruder Orest und dessen Jugendfreund Pylades entpuppen.

In Ivan Panteleevs Deutung kippt mit Orests Auftauchen Iphigenies bis dato ethisch einwandfreie Performance ins moralisch Fragwürdige. Kathleen Morgeneyer, vom Schauspielkollegen Moritz Grove gründlich eingeseift, muss nun die weiße Wandfarbe auch in Gesicht und Haaren tragen, hat mithin eine Maske anstelle eines Gesichts. Auch ihre Stimme nimmt eine neue Farbe an, wandelt sich vom voll tönenden Sprechorgan der Priesterin zum falsch mädchenhaft klingenden Singsang. Man fühlt sich an den „Wolf und die sieben Geißlein“ erinnert.

Eine radikale, auch radikal vereinfachte Auffassung des Ursprungstexts

Es handelt sich hier um eine recht weit reichende Interpretation von Iphigenies Dilemma: Sie will um jeden Preis verhindern, dass Orest und Pylades getötet werden, fühlt sich aber auch Thoas verpflichtet und beschließt, ihn mit Aufrichtigkeit zu entwaffnen und ihm den Fluchtplan der Griechen zu gestehen. Iphigenies Aufrichtigkeit aber, so will Panteleev uns weis(s)machen, ist an diesem Punkt von echter menschlicher Tugend, reiner Wahrhaftigkeit schon so weit entfernt, dass sie nur noch als eine kommunikative Strategie, als kalte Manipulation angesehen werden muss. Das ist eine ziemlich radikale, dabei radikal vereinfachte, Auffassung von Goethes verzwickter Diskursanordnung. Es ist eben eine „Iphigenie“ in Schwarzweiß. Und all das Weiße nichts als billige Übertünchung. Der Rest ist finster.

Ob dieses superpessimistische Gesamtkonzept gerade der „Iphigenie“ so leicht anzupassen ist, dürfte allerdings die Frage sein. Auf jeden Fall ist es sehr meta, so sehr, dass man fast geneigt sein könnte zu glauben, dass ironische Absicht im Spiel ist, wenn Moritz Grove als Orest so hörbar mit den Goethe’schen Versen kämpft. Weil alle anderen Darsteller diese Macke aber nicht haben, ist die Ironie vermutlich unfreiwillig. Oliver Stokowski als Thoas macht dagegen eher den Eindruck, als unterhalte er sich grundsätzlich in fünfhebigen Jamben. Und die weißbekittelte Kathleen Morgeneyer ist als Priesterin Iphigenie so eindrucksvoll und stark und intensiv, dass ihre unvermutete Verwandlung in die komische weiße Maskenfrau mit der falschen Girliestimme ein bisschen so wirkt wie etwas, das sie nur durchzieht, um dem Regisseur einen Gefallen zu tun. Aber das wäre dann allerdings hyper-meta.

Iphigenie auf Tauris, Deutsches Theater, wieder am 19. 10., 28. 10., je 19.30 Uhr

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