Die erste Sünde und der Apfel

Kunst Versuchung, Zankapfel, erotisch aufgeladenes Fruchtbarkeitssymbol: Auf kunstgeschichtlicher Apfelsuche in der Gemäldegalerie am Kulturforum

Im Habitat der Kunst ist ein Apfel kaum einmal nur Apfel. Nicht einfach Obst

Da stehen also zwei nackte Menschen, Frau und Mann, unter einem Baum. Sie sind einander zugewandt. Sie halten einen Apfel. Was man wohl erklären muss.

Draußen in der Natur ist ja gerade mit den Äpfeln nicht mehr viel los. Saisonschluss. Weswegen man sich für eine Apfelbetrachtung gut mal der Kunst zuwenden kann. Bei einem Spaziergang durch die Gemäldegalerie mit einer der bedeutendsten Sammlungen europäischer Kunst von den Anfängen der mittelalterlichen Tafelmalerei des 13. Jahrhunderts bis zum Klassizismus der Zeit um 1800 finden sich etliche Exemplare.

Vielleicht fängt man bei der visuellen Apfellese am besten gleich bei Adam und Eva an, also den beiden Nackten. Laut Bibel das erste Menschenpaar. In der Gemäldegalerie ist es etwa in einem 1531 gemalten Bild von Lucas Cranach dem Älteren zu sehen mit der keck um den Baum geflochtenen Schlange. Die ja, der biblischen Erzählung folgend, Eva und Adam erst eingeredet haben soll, trotz einem Verbot Gottes von dem Baum zu kosten. Womit die erste Sünde in der Welt war, mit der sich die Menschheit in der abendländischen Kulturgeschichte seither herumschlagen muss.

Der Apfel, die verbotene Frucht. Im Habitat der Kunst ist ein Apfel kaum einmal nur Apfel. Nicht einfach Obst. Er ist ein Symbol. Für Fruchtbarkeit kann er stehen und für Unsterblichkeit. Er ist erotisch aufgeladen, weil man halt die Form des Apfels mit der weiblichen Brust vergleichen kann. Er symbolisiert die Versuchung.

Und er steht für eine Wiedergutmachung. In der Gemäldegalerie findet sie sich reichlich in Darstellungen von „Maria mit dem Kind“. Egal, ob nun Maria den Apfel hält oder das Jesuskind, ob das beide (wie bei Hans Memling auf Seite 41 zu sehen) tun oder der Apfel schlicht im Bildvordergrund abgelegt ist, wie das zum Beispiel Giovanni Bellini gemalt hat: Immer soll hier im Apfel zu sehen sein, dass mit Maria als „neuer Eva“ und der Geburt ihres Sohnes, Jesus, die Erlösung winkt.

Aber auch abseits des biblischen Terrains findet sich der Apfel. Im „Urteil des Paris“ etwa. Ein Schönheitswettbewerb aus der griechischen Mythologie: Der Jüngling Paris soll entscheiden, welche von den drei Göttinnen – Aphrodite, Athene oder Hera – die schönste ist. Siegertrophäe: der sprichwörtlich gewordene Zankapfel. Findet sich wenigstens mit einer kleinformatigen Arbeit von Hendrik van Balen in der Gemäldegalerie.

Weil sich irgendwann endlich auch das Bürgertum neben die Kirche und den Adel als wichtiger Auftraggeber für die Kunst stellte, wandelte sich entsprechend die Kunst. Auch das ist am Apfel auszumessen am Beispiel des Goldenen Zeitalters der niederländischen Malerei, dem 17. Jahrhundert. Mit der Genremalerei wurde der Alltag in den Blick genommen. Hausarbeiten. Frauen, die Äpfel schälen. In der Gemäldegalerie in Bildern von Nicolaes Maes und Gerard Dou vertreten.

Und dass sich jetzt Äpfel in prunkvollen Stillleben in den Früchtekörben finden, heißt deswegen noch nicht, dass der Apfel in der Kunst endlich nur Apfel wäre. Etwas repräsentativer soll er schon sein.

Oder schließlich eine Fragestellung von Form und malerischer Modulation. Mit solchen Äpfeln hat sich etwa Paul Cézanne in seinen Stillleben auseinandergesetzt. Für diese Apfelbetrachtungen aber muss man den Kunstspaziergang dann in der Alten Nationalgalerie fortsetzen. Thomas Mauch