Stadtgespräch
: Der Richter hat das Wort

Mit unbedachten Worten zur Präsidentenwahl und zur FPÖ schafft ein Jurist einen österreichischen Skandal

Ralf Leonhard Aus Wien

Darf ein Höchstrichter seine persönliche Meinung zu einem Verhandlungsgegenstand in den Medien kundtun? Und schadet es seiner Unabhängigkeit, wenn er seine Wahlentscheidung öffentlich macht? Er darf – aber er beschädigt damit seine Karriereaussichten und er bringt die Justiz ins Gerede.

Die 14 Richterinnen und Richter des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (VfGH) wirken normalerweise im Verborgenen. Ihre Namen und ihr Äußeres sind bestenfalls einem Fachpublikum bekannt. Der Verfassungsrichter Johannes Schnizer und dessen meist ungekämmte weißblonde Haarpracht sind aber heute selbst den Konsumenten der Boulevardzeitungen ein Begriff. Und das kam so:

An der Entscheidung des VfGH, die Stichwahl des Bundespräsidenten vom 22. Mai zu annullieren, war zunehmend Kritik geübt worden. Nicht nur in der Fangemeinde des betroffenen Grünen Alexander Van der Bellen, sondern auch von Juristen. Mathematiker hatten zudem ausgerechnet: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Schlampereien bei der Auszählung der Briefstimmen das Ergebnis gekippt hätten, war tausendmal geringer als die für einen Lottogewinn.

Richter Schnizer fühlte sich daraufhin berufen, zur Verteidigung auszurücken. Er gewährte der Wiener Stadtzeitung Falter ein langes Interview: Seit dem Jahr 1927, erläuterte er, sind in Österreich Wahlen aufgehoben worden, wenn nur die theo­retische Möglichkeit bestand, dass das Ergebnis anders ausfallen hätte können. Im vorliegenden Fall hätten alle betroffenen Stimmen bei der Prüfung dem unterlegenen Kandidaten zugerechnet werden müssen, also Norbert Hofer von der FPÖ – eine rein theo­retische Annahme, mit der aber in den vergangenen Jahrzehnten schon 136 Wahlen aufgehoben wurden.

Eher nebenbei bemerkte Schnizer, er hege den Verdacht, die FPÖ hätte „bereits vor der Stichwahl die Wahlanfechtung aufgrund von Mängeln bei vorangegangenen Wahlen vorbereitet“. Diese seien „offenkundig bei den Wahlbeisitzern“ der FPÖ bekannt gewesen. Tatsächlich gab es für diesen Verdacht Anhaltspunkte. Norbert Hofer hatte geklagt, die Briefstimmen würden immer „etwas eigenartig ausgezählt“. Und Parteichef Heinz Christian Strache äußerte den Verdacht, dass bei den Wahlkarten geschoben werde, weil seine Partei dabei immer schlecht abschneidet.

Schnizer dürfte angesichts der Empörung, die das Interview bei der FPÖ auslöste, gedämmert sein, dass seine Äußerung unbedacht war. Tags darauf legte er im Fernsehinterview nach und begründete seine Vermutung mit der umfangreichen Dokumentation von Unregelmäßigkeiten durch die FPÖ, die schwerlich so schnell zusammengetragen worden sein könne. Gleichzeitig schwächte er ab: „Aber ich kann mich auch täuschen.“ Wohl um seine Unparteilichkeit nachzuweisen, beantwortete er auch noch die Frage nach seiner eigenen Wahlentscheidung: Van der Bellen.

Es bedarf kaum der Erwähnung, dass die FPÖ die Vorwürfe des Richters entrüstet zurückwies. FPÖ-Anwalt Dieter Böhmdorfer erklärte sich sogar bereit, eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, dass er erst nach der Stichwahl mit dem Sammeln von Material für die Anfechtung beauftragt worden sei. Von Schnizer forderte man eine zerknirschte Entschuldigung.

Entschuldigt hat sich Johannes Schnizer inzwischen tatsächlich. Allerdings nur beim Präsidenten des VfGH und dem Richterkollegium. In einem offenen Brief bedauert er, dass er sich über die juristische Verteidigung des Spruchs hinaus zu Äußerungen „hinreißen ließ“, und entschuldigt sich für den „großen Fehler“ der den Gerichtshof „einer öffentlichen Diskussion ausgesetzt habe“.

Die von der FPÖ geforderte Unterlassungserklärung gab der Verfassungsrichter allerdings nicht ab. Über seinen Anwalt ließ er ausrichten, dass er weder der FPÖ, Hofer noch Strache rechtswidriges Handeln unterstellt habe. Schnizer betrachte die Angelegenheit damit als erledigt. Nicht so die FPÖ. Sie verklagt Schnizer jetzt wegen Ehrverletzung und Rufschädigung.