: „Die Musik ist immer stärker“
Jazz Alexander von Schlippenbachs Globe Unity Orchestra feiert in diesem Jahr sein fünfzigjähriges Bestehen. Wir sprachen mit ihm über Europa, die Kraft der Musik und den weltweiten Erfolg von Free Jazz
Interview Andreas Hartmann
taz: Herr von Schlippenbach, vor 50 Jahren hatten Sie die Idee, Europa im von Ihnen gegründeten Globe Unity Orchestra zusammenzuführen. Zumindest Jazzmusiker sollten nationale Grenzen überwinden und gemeinsam musizieren. Empfinden Sie den Brexit, der mit dem Jubiläum Ihres Orchestras zusammenfällt, als Rückschritt für Ihren Gedanken?
Alexander von Schlippenbach: Mein Freund Evan Parker, mit dem ich seit Jahrzehnten auch in meinem Schlippenbach Trio zusammenspiele, hat das Statement abgegeben, dass wir Musiker schon vor den Politikern Europa zusammengeführt haben. Ich weiß, dass Evan von der EU nicht allzu viel gehalten hat, aber über die Umstände, in denen der Brexit dann vollzogen wurde, war er auch nicht glücklich. Es könnte nun schon sein, dass die Reiserei schwieriger werden wird, speziell für Evan, da er Engländer ist. Aber wir haben uns nie von so etwas abhalten lassen, unsere Musik zu machen. Der Brexit wird unsere Zusammenarbeit nicht verhindern. Wir sind immer noch bis zu 18 Musiker im Globe Unity Orchestra und wir sind immer noch international zusammengesetzt. Einige Mitglieder des Orchesters sind gestorben, andere sind neu dazugekommen, aber es wird weitergehen. Ich glaube ganz grundsätzlich, dass politische Turbulenzen der Musik nichts anhaben können. Die Musik ist immer stärker.
Kann die Musik einrenken, was die Politik verbockt hat?
Lassen sie mich Paul McCartney zitieren, der einmal feststellte, dass Musik schon Revolutionen mit auf den Weg gebracht hat. Musik hat eine starke emotionale Wirkung, zumindest kann sie das unter bestimmten Umständen und Voraussetzungen haben. Und so kann sie bei politisch Verbocktem zumindest heilsam wirken. Um aber etwas wirklich einzurenken oder gar zu verändern, bedarf es der Initiative von Musikern, die sich über das Handwerkliche hinaus engagieren müssten.
Vom Free Jazz hatte man sich einst versprochen, er könnte ein Modell für eine bessere Gesellschaft sein, weil es hier keine Leader und Anführer mehr geben sollte. Hat Free Jazz immer noch diesen politischen Impetus?
Die Utopie einer besseren Gesellschaft ohne Leader und Anführer resultierte aus einer naiven Mischung aus futuristischen Fantasien und kommunistischen Ideen. Dieser Impetus ist dem Free Jazz oft genug angedichtet und vielfach überschätzt worden. Ich persönlich hatte niemals den Anspruch, die Politik zu beeinflussen oder mich entsprechend zu artikulieren. Politisch in meiner Szene war noch am ehesten das Anliegen, die Produktionsmittel selbst in die Hand zu nehmen. Mit der Free Music Production haben wir Ende der Sechziger damit angefangen, unabhängig von der Musikindustrie selber Platten zu machen. Durch die FMP wurde vieles professioneller organisiert in unserer Szene, und in Berlin entstanden beispielsweise der „Workshop Freie Musik“ und das „Total Music Meeting“. Das waren zwei jeweils über mehrere Tage gehende, bedeutende Veranstaltungen für unsere Musik.
Der Musiker: Alexander von Schlippenbach ist inzwischen stolze 78 Jahre alt, aber immer noch ständig unterwegs. Er gehörte in den sechziger Jahren zu den prägenden Figuren der europäischen Free-Jazz-Szene.
Die Bands: Er gibt Solokonzerte, tritt gemeinsam mit seiner ebenfalls weltbekannten Frau, der Jazz-Pianistin Aki Takase auf, mit seinem seit mehr als 40 Jahren existierenden Schlippenbach Trio, zu dem der Saxophonist Evan Parker und der Schlagzeuger Paul Lovens gehören, und mit dem Globe Unity Orchestra, dessen fünfzigstes Jubiläum in diesem Jahr mit mehreren Konzerten begangen wird.
Das Album: Eben erschienen ist eine CD seines Projekts Lok 03+1 unter dem Titel „Signals” (Trost).
Die Konzerte: Alexander von Schlippenbach spielt am 14. und 15. Oktober mit Rudi Mahall (Klarinette) und Kasper Tom (Schlagzeug) im Neuköllner Sowieso. Mit dem Globe Unity Orchestra tritt er am 4. November beim Berliner Jazzfest im Haus der Berliner Festspiele auf.
Die FMP gibt es aber nicht mehr, und Free Jazz ist keine Revolution mehr, sondern nur noch ein Jazzstil unter vielen.
Die FMP gibt es nicht mehr, ja. Aber Free Jazz war niemals nur Revolution und schon gar kein Jazzstil unter vielen, wie immer wieder gern von Jazzkritikern und -wissenschaftlern behauptet wird. Free Jazz hat eine neue Ära im Jazz begründet, vergleichbar mit den Prozessen Anfang des 20. Jahrhunderts in der europäischen Klassik, als traditionelle Formen durch Arnold Schönberg und Igor Strawinsky aufgebrochen wurden und eine neue musikalische Sprache entstand. Ich bin mir sicher, dass es heute, trotz aller stilistischen Veränderungen nach den Sechzigern im Jazz, mehr Free Jazz auf der Welt gibt als jemals zuvor. Man sieht in letzter Zeit auch wieder ein viel jüngeres Publikum bei unseren Konzerten. Ich sage immer: Die Saat geht auf.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Berliner Szene, für die Sie sicherlich eine Art Vaterfigur sind, von der diese sich aber auch immer noch zu emanzipieren hat?
Wenn wir die viel bekochlöffelte Berliner Szene mal auf den Jazz reduzieren, so gibt es, abgesehen von allerlei abgestandenem Mainstream im progressiven Bereich, eine recht bunte Szene, die sich vorwiegend im Underground etabliert. Als Vaterfigur kann und will ich mich nicht unbedingt sehen. Viele jüngere Musiker sind hierher gezogen und bilden eine neue Generation, die stark und fleißig das weiterführt, was wir damals begonnen haben. Es sind aber doch eher die kleinen Clubs in Berlin, in denen etwas passiert. Es ist schade, dass es hier nicht eine Einrichtung wie das „Bimhuis“ in Amsterdam gibt, mit einem guten Flügel und regelmäßigen Veranstaltungen mit internationalen Besetzungen. Immerhin haben wir in Berlin für unsere Musik auch ein paar besser ausgestattete Clubs wie das „B-flat“, das „Zig-zag“ und den „Badenschen Hof“, wo auch einigermaßen brauchbare Flügel stehen.
Unter dem Namen Lok 03 + 1 haben Sie eine neue Platte gemeinsam mit Ihrer Frau, der Pianistin Aki Takase, dem Drummer Paul Lovens und Ihrem Sohn veröffentlicht. Ihr Sohn, DJ Illvibe, ist ein bekannter DJ in der Dancehall- und HipHop-Szene. Treffen da nicht zwei völlig unterschiedliche Welten aufeinander?
Mein Sohn hat Trompete, Schlagzeug und Klavier gespielt, und alles nicht schlecht. Im Alter von 13, 14 Jahren aber hat er das alles sein lassen und sich fanatisch auf die Turntables gestürzt. Und mit denen hat er mit solch einem ernsthaften Eifer angefangen zu arbeiten, dass mich das überzeugt hat. Ich kenne mich in dieser Dance-Hall- und HipHop-Szene so gut wie gar nicht aus, muss ich zugeben. Mein Sohn dagegen ist auch mit meiner Musik groß geworden, er kennt sich sehr viel besser mit meiner Musik aus als ich mich mit seiner. Er hat einige alte FMP-Platten als Sample-Material benutzt. Und er versteht es, auch mit seinen Plattenspielern zu improvisieren.
Sie sind 78 Jahre alt, aber immer noch viel unterwegs auf Konzerttourneen. Denkt man nicht auch als Free Jazzer nicht irgendwann daran, in Rente zu gehen?
Das geht leider überhaupt nicht. Rente ist für einen freiberuflichen Jazzmusiker in Deutschland nicht drin. Wir werden und müssen spielen, bis es nicht mehr geht, ich habe gar keine andere Wahl. Aber ich mach’s auch noch gern und ich tue, was ich kann, um meine Gesundheit zu erhalten. Zu meinem alten Freund Peter Brötzmann, der ja auch noch so viel mit seinem Saxofon unterwegs ist, sag ich immer: Der Free Jazz hält uns jung.
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