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heute in Bremen„Das ist inakzeptabel“

gemütskrank Auf den Beginn der Psychotherapie warten PatientInnen in Bremen zwei Monate

Sylvia Helbig-Lang

38, psychologische Psychotherapeutin, Promotion zu veränderungsrelevanten Prozessen, Vorstandsmitglied der Psychotherapeutenkammer.

taz: Frau Helbig-Lang, wie finde ich denn psychotherapeutische Hilfe in Bremen?

Sylvia Helbig-Lang: Die erste Frage sollte sein, ob Sie welche brauchen – also ob Psychotherapie das ist, was Ihnen helft. Die kann meistens der Hausarzt gut beantworten.

Aber danach wird’ s schwierig?

Durchaus. Zwar gibt es PsychotherapeutenInnen-Listen von der Kassenärztlichen Vereinigung und meistens bekommt man auch noch relativ schnell ein Erstgespräch. Aber bis zum Beginn der Therapie muss man dann warten.

Wie lange?

Bei der vorigen Erhebung waren es acht Wochen.

Das ist lang.

Das ist inakzeptabel! Sie müssen sich ja vorstellen, dass es sich dabei um Menschen in einer Krise handelt. Da sind zwei Monate Wartezeit kaum erträglich.

Das heißt, es gibt zu wenig PsychotherapeutInnen?

Offiziell ist Bremen überversorgt, sogar deutlich, zu 180 Prozent. Deshalb bekommt auch keiner eine Neuzulassung. Faktisch aber erleben wir PsychotherapeutInnen es ganz anders. Zum Glück gibt es momentan noch die Möglichkeit, sich die Kosten auch der Behandlung durch TherapeutInnen ohne Kassenzulassung erstatten zu lassen, wenn man nachweisen kann, sich bei mindestens sechs Therapiepraxen erfolglos um einen Platz bemüht zu haben.

Aber fällt die Möglichkeit nicht mit der neuen Psychotherapierichtlinie weg?

Wenn die am 1. April kommenden Jahres in Kraft tritt, wird es das nicht mehr geben. Das ist problematisch, auch wenn die Richtlinie einige Verbesserungen bringt, wie die Verpflichtung, pro Woche 100 Minuten Sprechstunde anzubieten und 250 Minuten persönliche Erreichbarkeit zu garantieren.

Besonders hart scheint mir, dass das Verhältnis zur / zum TherapeutIn intimer sein müsste, als zur Hausärztin / zum Hausarzt, und so ein Versorgungsengpass eher zum Friss-oder-stirb-Modus führt …

Genau. Das Vertrauensverhältnis ist sehr wichtig, ja, deshalb gibt es ja eine probatorische Sitzung, also eine Testsitzung, um zu sehen ob es passt. Aber in der Realität ist man dann doch meist froh, überhaupt einen Platz bekommen zu haben. Das ist eigentlich keine haltbare Situation.

Nun hat Bremen viele Flüchtlinge aufgenommen, die oft traumatisierende Situationen erlebt haben: Kann Bremen den Bedarf nach Therapie in den Herkunftssprachen befriedigen?

Sie haben recht: Das stellt einen echten Engpass in Bremen dar. Denn es ist in der Tat wichtig, dass TherapeutIn und PatientIn dieselbe Sprache sprechen. Es muss nicht unbedingt dieselbe Muttersprache sein, aber man sollte wenigstens auch ihre feineren Nuancen kennen. Und das ist sehr kompliziert derzeit in Bremen, zumal die Kassenärztliche Vereinigung hier die Möglichkeit, Sonderzulassungen zu vergeben, nur sehr verzögert wahrnimmt: Das führt dazu, dass diese Leistungen nur ehrenamtlich von engagierten TherapeutInnen erbracht werden. Das kann es aber auch nicht sein. interview: bes

Referat im Rahmen der 7. Bremer Woche der seelischen Gesundheit: Suche nach Psychotherapie – wie finde ich Hilfe?: 19 Uhr, Ärztekammer Bremen, Kurfürstenallee 130, 4. OG

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