Auszeichnung für Hai-Fotografen: Selfies sind tödlicher
Im Südpazifik hat der Bremer Tom Vierus erforscht und per Kamera dokumentiert, wie aus kleinen Haien große werden. Seine Fotos wurden nun prämiert.
Der Hai im Kopf, der ist böse. Dagegen gelten Delfine „als süß und intelligent“, sagt Vierus. Ungerecht. „Haie sind keine kopflosen Bestien, die einfach zubeißen. Dieses Bild wurde durch schlechte Filme verbreitet.“
Tatsächlich registrierte die „International Shark Attack File“, eine internationale Datenbank für Haiangriffe, 2015 insgesamt 98 von Menschen nicht provozierte Attacken. Davon endeten sechs tödlich. „Es sterben jährlich zwischen sechs und zehn Menschen durch Haiattacken, bei Tausenden Interaktionen“, erzählt Vierus. „Voriges Jahr starben mehr Menschen durch herabfallende Kokosnüsse oder beim Schießen von Selfies.“
Umgekehrt sieht es deutlich schlechter aus: Laut Greenpeace werden jährlich 100 Millionen Haie getötet. Gefährlich seien vor allem die Industriefischerei und der Haifischflossenmarkt in Asien, erklärt Vierus. Doch auch die Habitatzerstörung sei ein Problem. Die meisten Haie sind auf intakte Küstengewässer angewiesen. Nur dort können die Jungtiere aufwachsen. „Von den knapp 500 Arten gilt ein Viertel als bedroht“, sagt Vierus. Das bedeutet aber keine Entwarnung für die meisten anderen Arten. Im Gegenteil: Von ihnen fehlen die Daten, um Aussagen treffen zu können. Die Gesamtpopulation vieler Haiarten ist laut Vierus noch immer unbekannt.
„Elegant und unterschätzt“
Die Unterschiede zwischen den Arten sind gewaltig – am kleinsten ist der Zwerglaternenhai mit 20 cm, während der Walhai 14 Meter lang wird. Letzterer ernährt sich zudem wie einige andere Arten von Plankton und nicht von Beutetieren. „Haie existieren seit 400 Millionen Jahren“, berichtet er. „Ich finde sie wunderschön, elegant – und unterschätzt.“ Denn einige Arten seien hochintelligent.
Für seine Forschung, über deren Fortschritte er laufend auf seiner Homepage berichtet, lebte Vierus von Ende September bis Ende April auf Viti Levu. Das ist Hauptinsel Fidschis. Dort, in diesen Gewässern mit ihrem legendären, wenn auch schwindenden Fischreichtum, herrschen genau die Bedingungen, die unterschiedliche Haiarten im juvenilen Stadium benötigen. Im Rahmen seines Masterstudiums in „International Studies in Aquatic Tropical Ecology“, welches vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenökologie (ZMT) und der Universität Bremen angeboten wird, stellte der 27-Jährige das Forschungsprojekt selbst auf die Beine.
Unterstützung erhielt er durch einen Haiforscher der Universität des Südpazifik (USP). Für die Finanzierung seiner Feldarbeit erhielt Vierus von der USP 6.000 Euro. Hinzu kam ein Stipendium des ZMT in Höhe von 1.000 Euro – und Crowdfunding. „Die Feldarbeit ist kostenintensiv, zum Beispiel wegen der Transportlogistik“, erklärt Vierus.
Der Student untersuchte das mangrovengesäumte Delta des Ba-Flusses. „Hier vermuten wir eine Kinderstube für Haie. Im flachen Wasser sind die kleinen Tiere vor ihren großen Artgenossen geschützt“, so Vierus. Drei Arten konnten er und sein Team untersuchen „Neben dem gefährdeten Schwarzspitzenhai fanden wir auch zwei vom Aussterben bedrohte Hammerhaiarten.“ Bei seiner Feldarbeit wurde der Meeresbiologe durch den Vorsteher des nahegelegenen Dorfes unterstützt.
„Der Dorfvorsteher hatte ein gutes ökologisches Verständnis und wusste, dass Haie für das Ökosystem wichtig sind“, sagt Vierus. „Die Menschen waren extrem gastfreundlich und ich bin sehr dankbar für ihre Hilfe.“
Mit Netz und Langleine
Da Haie nachtaktiv sind, fuhr Vierus gemeinsam mit drei Fischern aus dem Ort während der Dämmerung aufs Meer hinaus und untersuchte das Mündungsgebiet. „Je nach Ebbe und Flut sind wir zwischen 17 und 20 Uhr rausgefahren und haben dann zwischen sechs und neun Stunden gefischt“, berichtet Vierus. Mit Netz und Langleine fingen sie die jungen Haie.
Dann erfasste Vierus die Tiere; Geschlecht und Größe, er schätze das Alter und entnahm eine Gewebeprobe, um die Art zweifelsfrei bestimmen zu können. Außerdem wurden zwei Sender gesetzt. Der eine erlaubt das Wiedererkennen eines Hais, ähnlich dem Chip, mit dem Haustiere gekennzeichnet werden. Der zweite Sender, ein sogenannter Spaghetti-Tag, ist außen sichtbar. Er enthält Kontaktinformationen, sodass etwa Fischer, die einen so gekennzeichneten Hai fangen, sich bei den Forschern melden können. „Die Messungen, die Entnahme der Gewebeprobe und das Setzen der Sender hat pro Hai zwischen zwei und drei Minuten gedauert.“ Anschließend wurden die Tiere wieder ins Wasser entlassen.
Tagsüber fuhr Vierus in die Stadt, um für die nächste Nacht frische Köder und Benzin für das Boot zu kaufen. Anschließend trug er die Daten der vergangenen Nacht ein. Zusätzlich interviewte er die Fischer zu den Haien.
Erschwert wurde seine Arbeit, nachdem im Februar der Zyklon „Winston“, der stärkste Wirbelsturm, der je in der südlichen Hemisphäre wütete, die Stromversorgung des Dorfes kappte. „Ab und zu hatte ich die Gelegenheit, meinen Laptop an einem Generator zu laden“, erzählt Vierus.
Seine Forschungsarbeit dokumentierte der Meeresbiologe außerdem mit seiner Kamera. So entstand auch die Fotoreihe, die er für den Deutschen Preis für Wissenschaftsfotografie einreichte. „Neben der Fotografie wurde die Forschung Hauptbestandteil meines Lebens“, sagt er. Ausgelobt wird der Preis seit 2005 jährlich von der Zeitschrift Bild der Wissenschaft. Die Preisverleihung findet im November in Bremen statt.
Auch das ZMT zeigt sich erfreut: „Wir sind sehr stolz und freuen uns über die Auszeichnung. Dass jemand sowohl in der Forschung als auch in der Fotografie begabt ist, ermöglicht, die Forschung einem breiteren Publikum näherzubringen“, so ZMT-Sprecherin Susanne Eickhoff. Durch seine Arbeit will Vierus den Schutz der Haie fördern.
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