„Vertane Chance für Hamburg“

Verlierer II Als Sportsenator kämpfte Michael Neumann für eine Olympia-Bewerbung. Bei der Volksbefragung kam dafür keine Mehrheit zustande, Neumann verließ wenig später die Politik

Michael Neumann

Foto: Maja Hitij/dpa

46, Berufssoldat und Diplom-Politologe, war 1997 bis 2011 SPD-Abgeordneter in der Bürgerschaft und von 2011 bis 2016 Innen- und Sportsenator.

taz: Herr Neumann, am 29. November 2015 verlor die Hamburger rot-grüne Koalition die Volksbefragung zum Thema „Olympische Spiele in Hamburg 2024“. Sie erinnern sich leidvoll?

Michael Neumann: Ja, es war eine vertane Chance für Hamburg.

Bei der Abstimmung votierten 51,6 Prozent gegen Ihre Olympia-Pläne. Arg knapp?

Mehrheit ist Mehrheit. Nachdenklich macht mich aber, dass wenn bei Bürgerschaftswahlen nur 50 oder 60 Prozent der wahlberechtigten abstimmen, die Legitimität des Parlaments angezweifelt wird. Wenn bei einem Volksentscheid oder einem Referendum, wie bei Olympia, nur rund 50 Prozent abstimmen, gilt das als hohe Beteiligung.

Sie und Ihre Partei, die SPD, haben sich jahrelang und nachdrücklich für die direkte Demokratie eingesetzt. Ist dann so eine Niederlage besonders schmerzhaft?

Ich gebe zu, dass ich der Vermischung von direkter und repräsentativer Demokratie kritisch gegenüberstehe. Wir haben uns aber anders entschieden. Der Ausgang eines Referendums ist kein Grund, dies nun infrage zu stellen.

2010 und 2013 hatte der jeweilige Senat bei zwei Volksentscheiden – Primarschule und Energienetze – ebenfalls verloren. Müssen Regierungen das Volk fürchten?

Nein. Es ist ja der Sinn der Volksentscheide, in Einzelfragen als Ergänzung oder Korrektiv eingreifen zu können, ohne das Regierungshandeln in Gänze infrage zu stellen.

Also sollte an der Volksgesetzgebung nicht gerüttelt werden?

Sie ist in Hamburg Teil der politischen Kultur. Das ist unstrittig. Debattiert werden sollte aber darüber, inwieweit die Beteiligungsquoren auf Landesebene und bei bezirklichen Bürgerentscheiden angepasst werden. Eine weitere Absenkung würde zu einem Verlust an Legitimation führen und Partikularinteressen noch weiter gestärkt werden.

Gibt es inzwischen eine gesellschaftliche Schieflage zugunsten wohlhabender und gebildeter Schichten?

Man kann die These vertreten, wer sein Wahlrecht nicht wahrnimmt, ist selber Schuld. Andererseits ist es schon frappierend, wie sehr die Wahlbeteiligung zwischen den Stadtteilen differiert.

Verkommt also die Volksgesetzgebung zur Speerspitze der Elite?

Sie bietet meinungsstarken Interessengruppen die Möglichkeit, ihre Sichtweise in besonderer Weise zur Geltung zu bringen. Das birgt die Gefahr, dass Einzelfragen schlank entschieden werden, die eventuellen negativen Konsequenzen wie Verschuldung oder Kürzungen in anderen Bereichen aber von Politikerinnen und Politikern getragen werden müssen.

Dann aber würde die direkte Demokratie die Spaltung der Gesellschaft nicht abmildern, sondern sogar noch vertiefen?

Die Zuspitzung auf Ja-Nein-Fragen führt zu härteren und unversöhnlicheren Kontroversen. Die Welt ist aber nicht schwarz oder weiß. Politik hat die Aufgabe zusammenzuführen und den Kompromiss zu suchen. Ohne Kompromissbereitschaft funktioniert Demokratie nicht, sondern führt in den „Bürgerkrieg“.

Interview: Sven-Michael Veit