der rote faden
: Brexitgelina oder Die Wege der Menschen sind unergründlich

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Saskia Hödl

Angelina Jolie

Die Liebe ist tot“, schluchzte es vergangene Woche aus allen möglichen Medienkanälen. Angelina Jolie hatte die Scheidung eingereicht. Es ist vorbei mit Brad Pitt. Woran sollen wir jetzt noch glauben?, fragten die unendlich vielen davon offenbar unmittelbar Betroffenen im Netz, und man konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob wir eigentlich noch ganz dicht sind. Die emotionalen und überempathischen Reaktionen waren nur noch schwer nachzuvollziehen.

Es scheint, als hätten die größtenteils atheistisch orientierten Westeuropäer vielleicht ein ernster zu nehmendes Problem, als heimlich doch ein kleines bisschen klatschbegeistert zu sein. Die Liebe totzusagen wegen eines eher absehbaren Ereignisses – der Scheidung von zwei Menschen, die aufs Klo gehen wie alle anderen auch – ist doch etwas eigentümlich. Das hatte schon etwas von Ersatzreligion und zeigte, dass der Mensch ein so enormes Rindvieh ist, dass er irgendwen anbeten muss, an irgendetwas ganz, ganz fest glauben muss – und wenn schon nicht an den weißen Mann mit Rauschebart, dann zumindest an einen anderen weißen Mann mit Rauschebart und eine UN-Botschafterin sowie deren sechs Kinder.

Ob zu viel oder zu wenig Empathie, der Mensch zeichnet sich durch schwer nachvollziehbare Reaktionen aus. So auch ein Arbeitgeber im US-Bundesstaat Alabama, der einer schwarzen Angestellten erklärte, dass ihre Dreadlocks gegen die Unternehmenskultur verstießen, weil sie dazu tendierten, „unordentlich auszusehen“. Die Angestellte, Chasity Jones, zog bis vor das Bundesberufungsgericht, das nun urteilte, dass der Arbeitgeber seinen Angestellten verbieten darf, traditionelle Frisuren wie Dreadlocks zu tragen.

Chasity Jones

Dieses Urteil wirkt auf den ersten Blick vernachlässigenswert, wenn man bedenkt, dass vergangene Woche in den USA wieder zwei Schwarze von Polizisten erschossen wurden. Andererseits ist das Urteil ganz und gar nicht vernachlässigenswert, sondern komplett irre. Das Gericht begründet seine Entscheidung sinngemäß damit, dass rassistische Diskriminierung auf Körpermerkmalen basiere, die man nicht ändern könne, und eine Frisur ließe sich ja ändern. Das als Maßstab zu nehmen ist mehr als bedenklich, denn es gibt heute weniges, das sich mit entsprechendem Aufwand nicht ändern ließe.

Das Gericht gab Chasity Jones also tatsächlich die Schuld daran, dass ihr kein glattes, europäisches Haar aus dem Kopf sprießt. Und nachdem andere Afrohaarfrisuren ähnlich beurteilt werden wie Dreadlocks, bleibt Jones, wenn sie ihren Job bei diesem Arbeitgeber behalten will, nicht viel anderes übrig als eine Perücke aufzusetzen, die dem weißen Auge genehm ist. Dann könnte Jones ihren Job behalten und sich bedanken, dass sie wie in den USA üblich rund 10 bis 20 Prozent weniger verdient als ihre weißen KollegInnen.

Ahmad Khan Rahami

Eine Menge menschlicher Reaktionen folgen eigentlich nur der Motivation, die soziale Stellung zu sichern, das eigene Weltbild zu bestätigen und anderes schlicht hassen zu können. So auch nach den Bombenattentaten in New York City, bei denen vor einer Woche 29 Menschen verletzt wurden. Als der Verdächtige Ahmad Khan Rahami gefasst wurde, gab es eine durchaus beachtliche Anzahl von Menschen, die sich dafür entschieden, über einen besonders niederträchtigen Weg die Familie in Sippenhaftung zu nehmen. Auf der Onlinebewertungsplattform Yelp hinterließen sie zum familiengeführten Schnellimbiss First American Fried Chicken jede Menge geradezu ekelhaft rassistischer Kommentare. Selbst als Rahamis Vater US-Medien erzählte, dass er bereits im Jahr 2014 das FBI darüber informierte, dass sein Sohn möglicherweise ein Terrorist sei, ließen die Kommentare nicht nach.

Angela Merkel

Dass der Mensch über eine stark selektive Wahrnehmung verfügt, war vergangene Woche auch in Deutschland zu sehen, als die Rede der Bundeskanzlerin auf einen Satz reduziert und in einem anderen Kontext verbreitet wurde. Angela Merkel hat in ihrer Rede nach der Berlinwahl zum Thema Flüchtlingspolitik gesagt, dass sie die Zeit zurückdrehen würde, wenn sie könnte.

Von Kritikern wurde das so ausgelegt, als hätte sie gesagt, sie würde die Zeit gerne um ein Jahr zurückdrehen und Flüchtlinge lieber nicht ins Land lassen. Dass sie eigentlich das Dublin-Verfahren und die schlecht vorbereitete Flüchtlingspolitik der EU kritisierte, also davon sprach, entsprechende Vorbereitungen für den Ernstfall lieber früher getroffen haben zu wollen, drang kaum durch.

Nützt natürlich alles nichts, die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Nicht mal, wenn wir ganz, ganz fest daran glauben.