Unzählige Leichen im Mittelmeer

ÄGYPTEN Auf einem gekenterten Schiff sollen bis zu 600 Flüchtlinge unterwegs gewesen sein

Überlebende zurück auf ägyptischem Boden Foto: reuters

AUS KAIRO Karim El-Gawhary

Noch weiß niemand genau, wie viele Flüchtlinge und Migranten ertrunken sind, nachdem ihr Schiff östlich der Hafenstadt Alexandria unweit der ägyptischen Küste gekentert ist. In See gestochen ist es in dem Ort Borg El-Meghast. Noch kursierte am Donnerstagmittag die Zahl des ägyptischen Armeesprechers, laut dem 163 Menschen gerettet und 42 Leichen aus dem Meer geborgen wurden. Aber die Frage ist, wie viele Menschen tatsächlich an Bord des Schiffes waren, das für maximal 50 Menschen ausgelegt war. Die Berichte variieren zwischen 300 und 600.

Wenige Stunden nach dem Unglück kursierten in den sozialen Medien in Ägypten bereits die ersten Videos. Eines zeigt die Einfahrt eines Fischkutters überfüllt mit Überlebenden. Einer der Fischer sagt dazu: „All diese Menschen waren auf einem einigen Schiff. Auf einem Boot, das kleiner ist als dieser Fischerkutter, da waren 550 Menschen drauf, manche hier im Dorf sagen, es waren sogar 600.“

Der ägyptische Fischer ist sichtlich aufgebracht. „Weder die Regierung noch die Armee hat die Leute gerettet. Das waren unsere Fischer, die rausgefahren sind. Ich sage das nur, weil sie in den Medien erzählen werden, dass die Marine, die Armee und die Polizei das gemacht hat.“

„Weder Regierung noch Armee retteten die Leute. Das waren unsere Fischer“

In den ägyptischen Fernsehstationen kommen die Überlebenden zu Wort, die ins Krankenhaus in der Küstenstadt Rosetta gebracht wurden. Weil sie ein Verfahren wegen illegalen Grenzübertrittes erwarten können, sind sie mit Handschellen an die Betten gekettet. Ein junger Mann beschreibt seine Odyssee: „Es war ausgemacht, dass ich für die Überfahrt umgerechnet 1.500 Euro zahle, aber nur wenn ich angekommen bin“, sagt er. Er sei mit einem kleinen Schlauchboot losgefahren. Dann wurden sie auf ein Holzboot umgeladen, um die 150 Leute. „Anschließend fuhren wir eineinhalb Stunden zu einem größeren Boot raus. Da waren bis zu 500 Menschen drauf. Wir sind dann bis um sechs Uhr morgens weitergefahren, bevor es gesunken ist.“ Seine Rettung: eine Flasche, die im Wasser schwamm. „Ich habe sie unter meinen Bauch gelegt.“ Auch der 27-jährige Ahmad Darwish hat überlebt. „Der Moment, als das Boot kenterte, war totales Chaos. Alle sind im gleichen Moment aufgesprungen.“ Im Wasser begegnete er einem Mädchen, dessen Eltern ertrunken sind. „Ich bekam einen Rettungsring zu greifen und habe das Mädchen zu mir gezogen. Wir haben gebetet.“ Später wurden die beiden von Fischern aus dem Wasser gezogen.

Darwish erzählt auch von den jungen Schleppern. Einer, der auch ertrank, sei gerade sieben Jahre alt gewesen. Die Organisatoren der Überfahrten setzen auf den Schiffen gern Minderjährige ein. Denn wenn sie von Marinepatrouillen aufgebracht werden, kommen sie nicht als Schlepper in italienische Gefängnisse, sondern in die Schule. Und wenn sie den Weg zurückschaffen, können sie bis zu 500 Euro verdienen.