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Alles wird klein

Geschichten Ein Parcours der Begegnungenund Erzählungen auf dem Tempelhofer Feld

David Kalakaua, König von Hawaii, unternahm 1881 als erster regierender Monarch eine Weltreise. Sie führte ihn auch nach Berlin, denn David Kalakaua war ein großer Fan des preußischen Militärs, seiner Paraden und seiner Musik. In Berlin wurde für ihn auf dem Tempelhofer Feld eine Schlacht mit Infanterie und Kavallerie aufgeführt. Die Pferde, die kurz vor seiner Kutsche zum Stehen kamen, sollen ihm sehr gefallen haben. Er hinterließ als Geschenk einen Mantel aus Federn, heute ein Schatz des Ethnologischen Museums.

Diese Geschichte erzählt auf dem Tempelhofer Feld Una. Sie gehört zu der Tanzschule Traumtänzer in den Hangars, hat ihre Hochzeitsreise nach Hawaii gemacht und begeistert sich seitdem für den Hula-Tanz. Zum Abschluss ihrer Erzählung übt sie davon ein paar Schritte mit dem Publikum, das zu der Performance „100 % Steppe“ auf das Tempelhofer Feld gekommen ist.

Zwischen Fußballspielern, Radlern, Grillgemeinschaften und Gärtnern bewegte sich der kleine Trupp von Zuschauern am Wochenende über das weite Feld und wurde zu verschiedenen Menschen geführt, die eine eigene Verbindung zu diesem Ort haben. Wie dem Eismann Mauro Lungo, der für seinen Standort am Eingang Columbiadamm kämpfen musste. Ihm fehlen auf dem Feld die Attraktionen eines Parks, Bäume, Schattenplätze, Teiche – was sollen die Touristen hier fotografieren, fragt er, außer dem Sonnenuntergang? Mauro Lungo ist eindeutig kein Liebhaber der Leere und der Weite. Und was da an Gärten ist, das findet er einen Witz.

Ganz anders Şeref, der die rote Fahne über seinem Gemüse gehisst hat. Er erzählt seine Lebensgeschichte, wie er in den 80er Jahren nach dem Militärputsch in der Türkei nach Berlin kam und sich anfangs stets verlief, an jeder Neuköllner Ecke die gleiche Schultheiß-Kneipe. Lange hat er gearbeitet, als Schweißer und in einem eigenen Kiosk, aber lange fehlte ihm die Freude, die Lust zu leben. Gefunden hat er sie erst als Gärtner, hier zwischen den Gemüsebeeten. Eigentlich fühlt er sich erst seitdem zu Hause in Berlin.

Vom Ankommen

Die Erzählungen der Feldspieler, die teils von Schauspielern vertreten werden, teils selbst vor uns stehen, sind einfach. Und doch setzt sich aus den Monologen, die das Büro Milk zusammen mit dem Studio R des Gorki-Theaters gesammelt hat, ein vielfältiges Bild von Migration und Austausch zusammen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass in den Hangars letztes Jahr die größten Notunterkünfte des Landes Berlin für geflüchtete Menschen entstanden. Die Fußballspieler, die grillenden Familien, die Picknick-Gruppen, vielleicht, denkt man, kommen die Menschen von dort.

In den Notunterkünften arbeitet Simona Roman, eine junge Frau aus Rumänien, als Reinigungskraft. Ein wenig frierend steht sie auf einer Wiese und erzählt. Vom Verbot für die Reinigungskräfte, mit den Untergebrachten zu reden; das empört sie, zu Recht, denken alle. Von fehlenden Türen und fehlenden Steckdosen – deswegen können alle ihr Handy nur in der Küche aufladen. Die Unterbringung, findet sie, macht die Bewohner unselbstständig – verglichen mit ihrem eigenen Leben als Migrantin. Kaum ist ihr Monolog beendet, läuftsie mit wehenden Haaren davon.

Auf dem weiten Feld wird jede Geschichte klein. Auch das Theater selbst ist nur ein wandernder Fleck über das struppige Gras. Bald wird Regen kommen. Katrin Bettina Müller

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