Angelique Kerber bei den US Open: Das Ende des Gedankenkarussells
Die Tennisspielerin ist die neue Nummer eins der Weltrangliste, weil Serena Williams patzt. Am Samstag steht sie im Finale der US Open.
Karolina Pliskova spielte bei alldem eine entscheidende Rolle. Es wurde schnell deutlich, dass sie der Favoritin mit ihrem ebenso gradlinigen wie unaufgeregten Spiel schwer im Halbfinale zu schaffen machte; Williams produzierte Fehler über Fehler. Pliskova blieb standhaft und gewann (6:2, 7:6). Angelique Kerber sah den Tiebreak mit ihrem Trainer Torben Beltz und ihrer Physiotherapeutin Cathrin Junker vor einem der Fernsehapparate im Fitnessraum, und sie war in diesen Momenten immer noch überzeugt davon, dass Williams die Sache drehen würde. Wie so oft.
Ungläubig sah sie zu, wie das Spiel zu Ende ging; mit einem Doppelfehler verlor Serena Williams den Platz an der Spitze der Weltrangliste. Die drei im Gym sahen zu, und keiner sagte einen Ton. Da sei sekundenlang Stille gewesen, berichtete Kerber später, dann habe sie gedacht: „Okay, jetzt ist es passiert.“ Und Beltz ging sofort zur Tagesordnung über und meinte: „Egal, was jetzt passiert ist, du musst dich aufs Match konzentrieren. Du bist jetzt Nummer eins, aber wir wollen dieses Match gewinnen.“
In diesem Moment ging es um alles. Ihr Gesicht ähnelte einer Maske, als sie sich eine halbe Stunde später auf dem Weg zum Spiel gegen Caroline Wozniacki machte. Es war zu sehen und zu spüren: Dieses Spiel hatte für sie eine immense Bedeutung. „Ich wollte nicht mit einer Niederlage Nummer eins werden“, sagte sie später. „Das hat mir noch mehr Motivation gegeben, alles rauszuholen.“
Sie brauchte eine Stunde und 27 Minuten zum Sieg in zwei Sätzen (6:4, 6:3) gegen die frühere Nummer eins aus Dänemark. 87 überzeugende Minuten, in denen sie das Spiel und sich selbst so sehr im Griff hatte, dass man sich in diesen Momenten kaum noch erinnern konnte, sie jemals zweifelnd, mit sich selbst hadernd auf einem Platz gesehen zu haben. Oft genug hatte sie sich früher selbst im Weg gestanden mit einer gewissen Negativität, mit der Angst vorm Versagen, aber diese Phase hat sie hinter sich. „Jetzt versuche ich, stark zu sein und meinem Gegner nicht zu zeigen, wie es in mir aussieht. Ich versuche, positiv zu bleiben und, wenn ich eine Chance habe, was zu riskieren und nicht auf Fehler der anderen zu warten.“
So lange wie Steffi Graf
Während sie genau so spielte, wollte sich Serena Williams zur verlorenen Nummer eins nicht äußern. Nach 186 Wochen an der Spitze der Weltrangliste muss sie nun damit klarkommen, von Kerber verdrängt zu werden. Mit diesen 186 erreichte sie den Bestwert von Steffi Graf aus der Zeit von August 1987 bis März 1991, aber es ist ausgeschlossen, dass sie diese Marke nun übertreffen wird. Und Kerber sicherte eine weitere Bestmarke der ersten deutschen Nummer eins, denn vorerst bleibt es bei 22 Grand-Slam-Titeln für Williams, und ebenso viele hatte Graf.
Angelique Kerber
Offiziell wird Kerber erst am Montag an der Spitze stehen, aber sie darf sich jetzt schon als Serena Williams’ legitime Nachfolgerin fühlen, obwohl es ja noch eine große Aufgabe gibt, das Finale am Samstag (22 Uhr MEZ) gegen Pliskova. Es wird ihr drittes Grand-Slam-Finale in diesem Jahr nach dem Sieg in Melbourne und der Niederlage in Wimbledon gegen Williams sein, und das allein ist kaum zu glauben.
Ob sie in diesem Finale den zweiten großen Titel in diesem Jahr gewinnen kann, das wird auch von Karolina Pliskova abhängen, die sich nach dem überaus überzeugenden Sieg gegen Williams nicht mehr aufhalten lassen möchte. Bei der letzten Begegnung im Finale des Turniers von Cincinnati Mitte August hatte Angelique Kerber keine Chance, was allerdings auch damit zu tun hatte, dass ihr die olympische Müdigkeit in den Knochen steckte.
Jetzt geht es ihr deutlich besser. Beginnt jetzt wieder das Gedankenkarussell? „Nee. Ich spür den Druck jetzt gar nicht mehr so.“ Sie wird rausgehen und alles zeigen, was sie kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!